Hirngespenster (German Edition)
geflüstert, und sie hatte nach einem »Ich wünsch dir alles Gute, wirklich« einfach aufgelegt. Es gab nichts mehr zu sagen.
In den darauffolgenden Tagen hieß es arbeiten, obwohl sie sich am liebsten hätte krankschreiben lassen. Die Neuigkeiten über Johannes' neuen Nachwuchs verleideten ihr jeglichen Appetit und jede Kreativität bei der Arbeit. Ihre Mundwinkel zeigten nach unten, wenn sie an der Kasse im Supermarkt stand oder auf dem Wochenmarkt – wo sie sonst immer zu einem Schwätzchen bereit war. Selbst mit größter Mühe gelang es ihr kaum, dies zu ändern. Sobald sie in ihrem Auto auf dem Weg zur Arbeit saß, rannen die Tränen. In ihrer Wohnung dasselbe: Sobald sie die Tür hinter sich schloss, öffneten sich die Schleusen.
Fast täglich schaute sie nach der Arbeit im Friseursalon bei Tanja vorbei.
»Er hat immer noch nicht angerufen«, verkündete sie bereits nach wenigen Minuten.
»Ach nein?«
»Er wird vermutlich nie anrufen.«
»Vermutlich nicht.«
»Vielleicht traut er sich nur nicht.«
»Das wird es sein.« Tanja warf ihr gelegentlich einen bedenklichen Blick zu, während sie Strähnchen setzte und Ponys trimmte und sich fragte, wann Sabina endlich mit dieser Litanei aufhören würde. Sie hatte kein bisschen Selbstachtung. Dabei war sie so eine schöne und intelligente Frau! Als sie zum ersten Mal in ihren Salon gekommen war, hatte Tanja gedacht: Wow, was für eine interessante Frau. Und immer noch verrenkte sich jeder den Hals nach ihr – doch Sabina bemerkte nicht einmal etwas davon. Es waren ihre Ausstrahlung, ihre Aufgeschlossenheit und Fröhlichkeit, die faszinierten. Zurzeit war davon allerdings wenig zu spüren.
»Hast du dich inzwischen bei Parship angemeldet?«, fragte Tanja später, als sie in Luigis Eiscafé saßen.
»Ich kam noch nicht dazu. Hab so viel um die Ohren.« Bei dieser Notlüge musste Sabina selbst grinsen. Sie hatte es wieder nicht über sich gebracht, sich dort anzumelden; nur geguckt hatte sie. Was erwarteten die Leute, die sich dort anmeldeten? Dass man die große Liebe fand? Jeder zeigte sich doch nur in seinem besten Licht, hatte tolle Hobbys, einen interessanten Beruf, war super sportlich, konnte mehrere Sprachen fließend. Dort schrieb doch keiner »ich bin ein hässlicher Vogel und krieg mein Leben nicht auf die Reihe«. Und sie, was sollte sie schreiben? »Bin seit fünfzehn Jahren unglücklich verliebt, sehe in diesem Mist hier gar keinen Sinn, aber meine Freundin meint, ich soll mich hier unbedingt anmelden, sonst krieg ich nie mehr einen ab«?
»Pass auf, Sabina«, sagte Tanja, die sofort merkte, dass es sich nur um eine Ausrede handelte, »ich mach das für dich, ich melde dich dort an, übernehme eine Vorauswahl, und dann triffst du dich mit drei Typen. Mehr nicht. Wenn keiner dabei war, dann trauere Johannes hinterher. Aber bis dahin wäre das zumindest eine gute Abwechslung, das wirst du zugeben müssen.«
»Ich treffe mich nicht mit wildfremden Typen, das vergiss mal«, antwortete Sabina und schob sich eine Gabel Salat in den Mund. Tanja konnte nur den Kopf schütteln. Sie dachte an Luigi, der sich nach Sabina verzehrte, seit er sie vor drei Jahren kennengelernt hatte. Jeden Wunsch würde er ihr von den Augen ablesen. Aber nein, Sabina wollte diesen Johannes. Diesen langweiligen Typen, der Kinder hatte. Grund genug, die Finger von ihm zu lassen.
Sabina hing ihrerseits ihren Gedanken nach. Wenn sie Familie und Kinder wollte, war es höchste Zeit, endlich die Initiative zu ergreifen und nach einem Mann zu suchen, der frei war und genau dies mit ihr teilen wollte. Sie hatte auch helle Momente zwischendurch. In denen sie Tanja zustimmte, dass sich Johannes vermutlich niemals von Silvie trennen würde – dass sie allenfalls seine Affäre sein konnte, aber niemals Kinder mit ihm haben würde. In diesen Momenten nahm sie sich fest vor, nie mehr an Johannes zu denken, nie wieder sein Gesicht vor Augen zu haben, wenn sie abends einschlief oder morgens aufwachte.
Entschlossen legte sie das Besteck auf dem Teller ab, erhob sich und sagte zu Tanja: »Ich mach mich auf die Socken. Ich geb da mal was ein in Parship. Okay?«
Tanja betrachtete sie skeptisch. »Versprochen?«
»Versprochen.«
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis Sabina nach Oles Geburt bei Johannes wieder auf der Matte stand. Hat sie zu ihm Kontakt aufgenommen, nachdem der erste Schmerz verklungen war? Oder herrschte zwischen den beiden tatsächlich Funkstille bis zu meinem
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