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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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in der Ecke an, und ich lief ihm wie ferngesteuert hinterher, wendete langsam meinen Kopf, um einen Blick auf die Frau werfen zu können, mit der Jens am Tisch saß. Gleichzeitig sah er sich nach uns um und durchbohrte mich fast mit seinem Blick. Schnell schaute ich wieder weg und platzierte mich so, dass ich Jens‘ Rücken und seine Frau in ihrer vollen Pracht vor mir hatte. Ja, Pracht war schon angebracht. Ich bin nie ein Fan künstlicher Fingernägel gewesen, es gibt wenige, die mir gefallen. Auch ihre waren eindeutig zu eckig und zu lang. Was sollte man mit solchen Krallen anfangen? Außer um einem Mann den Rücken zu zerkratzen, sind sie nicht zu besonders viel zu gebrauchen. Mit diesen Dingern hätte ich weder auf meinem Notebook tippen noch Kartoffeln schälen können. Außerdem war sie zu perfekt geschminkt – das dunkle Haar streng zurückgekämmt, blitzten braune Augen aus einem braungebrannten Gesicht. Keine natürliche Bräune, wenn man mich fragte. Was wollte er mit so einer Tussi? Nach der Anzeige zu urteilen, hätte ich mit einem Hausmütterchen an seiner Seite gerechnet. Die Dame hier sah nicht gerade aus, als würde sie es scheuen, mit ihrem Mann zu vögeln. Dass es sich bei ihr todsicher um seine Frau handeln musste, stellte ich spätestens auf den zweiten Blick fest: Sie streifte ein Haar von seiner Schulter, und diese mütterliche Geste, die alle Männer hassen, macht keine andere als die eigene Ehefrau.
    Sie schienen eine schleppende Unterhaltung zu führen, Jens hob hin und wieder die Schultern, als langweile er sich, und ich denke, genau das tat Johannes mit mir.
    »Was starrst du eigentlich diese Frau so an?«, fragte er plötzlich.
    »Oh. Nichts«, lächelte ich ihm zu. Dann flüsterte ich: »Die Fingernägel sind grauenvoll.«
    Johannes schüttelte den Kopf. »Oh Mann, Silvie, kannst du eigentlich noch was anderes, als meckern und lästern?«
    Ich war perplex. »Lästern? Ich? Du fragst mich, warum ich die Frau anstarre und …«
    »Es ist ganz egal, was, Silvie. Du lästerst über den Hasenstall, den unsere Nachbarn auf dem Balkon haben, über die Couchgarnitur meiner Mutter …«
    Jetzt geriet ich in Rage. »Unsere Nachbarn haben keinen Hasenstall auf dem Balkon, sondern ihr Balkon ist ein Hasenstall, das ist ein Unterschied«, zischte ich, »und dass die Couch deiner Mutter hässlich ist, hast du zuerst gesagt; ich hab lediglich zugestimmt.«
    »Ich sagte, sie sei altmodisch, und du sagtest …«
    »Mama«, sagte Nils dazwischen, »Kacka Nini.«
    Das jetzt auch noch!
    In diesem Moment ging Jens an unserem Tisch vorbei in Richtung Toilette, die Treppe hinunter. Ich erhob mich so schnell es ging und nahm Nils bei der Hand. »Komm Schatz, wir gucken mal, ob ich dich hier irgendwo sauber machen kann«, sagte ich, schnappte mir den Wickelrucksack und zog Nils mit mir die Treppe hinunter, Jens hinterher. Dort unten stand er mit dem Rücken an die Wand gelehnt und sah mir entgegen. Seine Stimme zitterte, als er auf uns zutrat; sein Gesicht näherte sich meinem, ich spürte seinen Atem auf der Wange. »Ich muss dich sehen, Silvie. Bitte.« Er nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und sah mich flehend an.
    »Kein Problem«, entgegnete ich und hielt Nils' Hand fest umklammert. »Wann?«
    Jens schluckte und blinzelte. Dann flüsterte er: »Ich liebe dich.«

    Ich war wie von Sinnen, als ich mit Nils wieder an unseren Tisch zurückkehrte. Jens' Worte hallten in meinem Kopf nach wie ein Donnerschlag, und ich ließ mich matt in den Stuhl plumpsen. Ich musste achtgeben, dass ich nicht losheulte; kein Wort konnte ich herausbringen.
    Johannes blickte mich beschwörend an. »Silvie, jetzt mach keine Szene. Ich entschuldige mich, okay? Unsere Nachbarn haben einen mit Hasenkötteln vollgeschissenen Austritt, auf dem sich zehn Hasen tummeln, vor dem Wohnzimmer, du hast völlig recht. Und das Sofa meiner Mutter …«
    Ich winkte ab und hielt mir den Bauch. »Lass gut sein Johannes, ich hab Schmerzen.« In der Tat hatte ich plötzlich starke Kontraktionen und befürchtete, dass sich unser Kind gerade auf den Weg machte.
    »Oh«, sagte er und winkte hektisch dem Kellner, der herbeieilte und mich besorgt musterte.
    »Alles in Ordnung bei Ihnen?«, warf er einen misstrauischen Blick auf meinen Bauch.
    Unter Tränen scherzte ich: »Wenn Sie mir bei der Geburt zur Hand gehen, gebe ich dem Kind Ihren Namen. Wie heißen Sie?«
    Er lachte. »Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
    Doch Johannes hatte alles im Griff.

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