Hirngespenster (German Edition)
Zusammenbruch? Ich sollte es wissen, sie haben ja während meiner Dunkelheit darüber gesprochen. Irgendwas hat es mit einer Prophezeiung zu tun. Und mit Olga. Aber ich krieg's nicht mehr zusammen. Ist schon so lange her.
Silvie
Das, was Jens vor der Damentoilette im Ginkgo zu mir gesagt hatte, hallte auf dem Weg ins Krankenhaus in mir nach, bis es dann doch in den Hintergrund trat – während der Geburt denkt man an andere Dinge. Eine Schwesterschülerin betreute Nils, bis meine Eltern kamen; Johannes hielt meine Hand, ich atmete laut und tief, kurz und schnell, versuchte, den Atem zu kontrollieren, was unmöglich war. Der gewaltige Druck des riesigen Korkens zwischen meinen Beinen nahm mir schließlich endgültig die Luft. Ich halte es nicht aus, dachte ich. Ich werde wahnsinnig.
Als ich endlich in Oles winziges rotes Gesichtchen blicken durfte, erschöpft und erleichtert, und Johannes mit seinem Handy hinausging, um meine Eltern und seine Mutter zu informieren, dachte ich wieder an Jens. Zu gern hätte ich ihm mein Kind gezeigt, das uns in gewisser Weise zusammengebracht hatte.
Ich weiß nicht, ob ich mir vorgestellt hatte, einfach einen Schalter umlegen zu können, mit dem ich Jens ausblendete und das, was ich getan hatte. Anscheinend war ich der Meinung gewesen, Johannes werde es schon richten, indem er mich plötzlich wieder attraktiv fand. Hatte das nach Nils' Geburt tatsächlich so funktioniert? Offenbar.
Nach Oles Geburt funktionierte es jedenfalls nicht.
Ich bekam Blumen ins Krankenhaus geliefert, und Johannes fragte: »Von wem sind die?«
»Von der Arbeit«, log ich.
Johannes sah mich prüfend an. »Es sind auch Blumen von deiner Arbeit nach Hause geliefert worden. Schicken die dir zwei Sträuße?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung. Schlechte Abstimmung vermutlich. Du kennst doch Natalie.«
Johannes nickte und betrachtete Ole, der in seinem Bettchen lag und leise knarrende Geräusche von sich gab. »Es hat jemand zu Hause angerufen, Silvie«, sagte er.
Ich verzog keine Miene, aber mein Herz raste. »Wer?«
Wieder dieser prüfende Blick. »Ein Mann. Mehrmals. Hat nach dir gefragt und wann du nach Hause kämest.«
»Wahrscheinlich ein Arbeitskollege«, tat ich unbeteiligt.
Johannes blickte wieder Ole an und rieb sich dann die Augen. »Vermutlich.«
»Bist du müde?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich bin nur nicht gut drauf.«
»Warum denn? Freust du dich kein bisschen über den Kleinen?« Ich hatte einen Kloß im Hals. Unser Baby hatte ein bisschen mehr Euphorie verdient. Und täuschte ich mich, oder hatte auch er Tränen in den Augen? Zögernd beugte er sich über das kleine Bettchen und küsste Oles Stirn. »Doch, doch, ich freu mich.« Dann gab er mir einen raschen Kuss und ging zur Tür. »Ich muss Nils abholen. Bis morgen.«
Ich war stinksauer auf Jens. Wie konnte er es wagen, bei mir zu Hause anzurufen?! Unter allen Regeln, die er selbst aufgestellt hatte, war diese seine allerheiligste gewesen! Ich konnte nicht fassen, was da vor sich ging. Natürlich hatte ich ihn vermisst, und ich wollte mich auch mit ihm treffen, aber andererseits konnte ich ihn doch nur enttäuschen, denn das, was ich ihm vorhergesagt hatte, war bereits eingetreten: Meine Libido hatte sich verabschiedet. Erstens hatte ich einen Dammriss, der sich sehen lassen konnte, und zweitens kündigte sich bereits der Milcheinschuss an, von dem ich wusste, dass meine Brüste sich bald nach nichts anderem als nach kalten Umschlägen sehnen würden. Die tierischen Funktionen des weiblichen Körpers hatten mit den Wehen eingesetzt und würden einige Monate meinen Alltag bestimmen. Aber wenn ich geglaubt hatte, dass Jens dies abschrecken würde, an unserer Beziehung festzuhalten, dann hatte ich mich wahrlich getäuscht. Er wollte mich auch ohne Libido. Gut für mich. Und erst recht für Anna.
Nachdem meine erste Wut verraucht war, brachte ich sogar Verständnis für ihn auf. Warum er bei mir daheim angerufen hatte, lag auf der Hand: Wenn es stimmte, dass er mich liebte, dann hatte er sich bestimmt Sorgen gemacht. Er hatte mitbekommen, wie ich unter Schmerzen das Lokal verlassen hatte – kein Wunder, dass ihm das keine Ruhe ließ. Und sicher hatte er über Johannes nur den Namen des Krankenhauses erfragen wollen, in dem ich lag. Verständlich.
Ich rief ihn an und sagte: »Jens. Bitte rufe nie wieder bei mir zu Hause an – egal, was passiert. Du selbst hast diese Regel aufgestellt! Es geht
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