Hirngespenster (German Edition)
wieder und ließ die Schultern sinken. »Er ist nicht Johannes.«
»Warum hast du mit Alex angebändelt, wenn du angeblich die ganze Zeit nur an mich gedacht hast?«, neckte Johannes Sabina, als es dunkel um mich war. Leider konnte ich die beiden Turteltäubchen nicht sehen, nur hören. Aber ich bin mir sicher, dass er ihr dabei über den Kopf strich, so wie er es ständig tut, wenn sie sich nahe sind.
»Ich wollte mir eine Chance geben, am Leben teilzunehmen. Ich wollte eine Familie, Kinder eben. Und er schien ja ein netter Kerl.«
»Hättest du mir nur einmal gesagt, was du willst, dann hättest du mich aufgeweckt aus meiner Lethargie.«
»Ach Johannes«, seufzte sie, »wir sollten aufhören, darüber zu sprechen, sonst kommen wir wieder an den Punkt, wo einer von uns denkt, man könnte froh darüber sein, was mit Silvie passiert ist, und dann könnte ich heulen. Es ist einfach schrecklich. Und ich wünschte, die Jungs hätten ihre Mama behalten.«
»Wenn das mit Silvie nicht passiert wäre, dann wären wir vielleicht nie mehr zusammengekommen«, sagte er.
Vermutlich hat sie ihren Kopf an seinem Hals vergraben, denn es wurde noch undeutlicher als ohnehin schon. »Aber nicht, weil du nicht gewollt hättest«, murmelte sie, »sondern weil du mich sonst niemals angerufen hättest.«
»Genau.«
»Und ich hätte dich auch nicht angerufen. Das kannst du mir glauben.«
Silvie
Von Annas gebrochenen Fingern erfuhr ich erst nach Tagen. Da hatten meine Eltern sie besucht und waren aus allen Wolken gefallen. Erstens über die Tatsache, dass Anna durch einen blöden Unfall zwei gebrochene Finger hatte, zweitens darüber, dass sie sie nicht informiert hatte, und drittens, wie es im Haus aussah. »Keine Haushaltshilfe, Silvie, das musst du dir mal vorstellen!«
»Dabei zahlt so was die Krankenkasse«, sagte ich.
»Sie meint, sie kommt ohne klar, aber das lassen wir nicht zu. Papa und ich fahren jetzt jeden zweiten Tag hin und greifen ihr unter die Arme. Sechs Wochen dauert es, bis sie die Finger wieder normal bewegen kann.«
Ich fuhr ebenfalls zu ihr, wieder mit Ole im Schlepptau, den sie erfreut begutachtete. »Wie groß er geworden ist!«, rief sie entzückt, und: »Dass meine auch mal so klein waren, kaum zu glauben!« Der Fernseher im Wohnzimmer lief, Emma und Clara hockten davor, und Emma lutschte am Daumen.
»Damit hat sie vor kurzem angefangen – niedlich oder?«, sagte Anna, und ich nickte. Als ich mich nach ihren Fingern erkundigte und wie es dazu gekommen war, berichtete sie mir von diesem dummen Unfall, bei dem sie und Matthias gleichzeitig den Apothekerschrank hatten schließen wollen. Mir drehte sich der Magen um beim Gedanken an die erlittenen Schmerzen. Ich hatte mir selbst einmal auf ähnliche Art und Weise eine tiefe Schnittwunde zugezogen und glaubte ihr daher unbesehen. Jahre zuvor hatte ich einmal nach unserem Fleischmesser greifen wollen, und Johannes hatte gleichzeitig daran gezogen. Dabei waren auch wir in der Unfallklinik gelandet; fünf Stiche hatte es gebraucht, um das Blut zu stoppen. Solche Unfälle gab es. Es gab auch Kinder, die stürzten rückwärts mit dem Kopf gegen einen Heizkörper und trugen eine Platzwunde davon, so wie es uns mit Nils ergangen war – wo kämen wir denn hin, wenn jeder sogleich an Misshandlungen dächte?
Wie auch immer. Abgesehen von den Fingern wirkte Anna gelöst. Ich fuhr wieder ab, dachte, die Dinge liefen besser und besser, und es gäbe nichts, worüber ich mir Sorgen machen müsste. Außer um mein eigenes Leben natürlich, von dem ich nicht wusste, worauf es hinauslief. Aber wer weiß das schon?
Heute kann ich nicht schlafen. Meine Nase ist verstopft, ich bekomme keine Luft, und mein Mund trocknet ständig aus. Was soll ich anderes tun, als rufen – ich brauche einen Schluck zu trinken! Meine Stimme schallt durch die Stille der Wohnung, und es dauert enorm lange, bis Sabina in der Tür steht, schlaftrunken, und fragt: »Was ist denn nun schon wieder los?«
Schon wieder? Ich weiß nicht, was sie meint. Ich rufe doch so gut wie nie. Vielleicht spielt sie auf neulich an, da war mir nicht wohl, ich musste mich übergeben. Ole hatte seine Tüte Gummibärchen am Nachmittag mit mir geteilt, die lagen mir wie ein Stein im Magen. Aber sonst bin ich lammfromm. Ich recke hilfesuchend die Arme nach ihr aus, hoffe darauf, aufstehen zu dürfen, doch sie winkt ab. »Nein, nein, nein«, sagt sie, wenn auch liebevoll, »damit fangen wir gar nicht erst an.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher