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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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Gedanken hoch. »Sie haben mir einen Schrecken eingejagt!«, keuchte sie.
    Am Tisch entstand amüsiertes Getuschel, das ihr Chef verärgert zur Kenntnis nahm. »Es geht hier um dreihunderttausend Euro, Frau Forbes, das erschreckt mich auch. Dreihunderttausend, die allein durch erhöhte Ausfuhrzölle entstanden sind. Hatte sich was mit den von ihnen eingesparten Kosten – daran hätten Sie ganz einfach denken müssen!«
    »Es … Ich …«, stotterte Sabina und hätte am liebsten gebrüllt: »Das kommt davon, wenn Sie eine Designerin mit dem Einkauf beauftragen!«, doch sie verstummte. Es war ihr Vorschlag gewesen, die beiden Posten zu kombinieren, nicht seiner. Sie hatte sich übernommen damit, hatte nicht BWL studiert, sondern Design. Hilflos blickte sie in die Runde, begegnete den erwartungsvollen Blicken ihrer Kollegen und hob beide Hände. »Ich gebe auf«, erklärte sie und erhob sich, verließ wortlos den Sitzungsraum, aus dem ein aufgeregtes Getuschel zu hören war, und eilte zu ihrem Büro. Es war Zeit für einen Neuanfang – auf der ganzen Linie.

    »Ich habe gekündigt«, erklärte sie Tanja, die überrascht aufsah, als sie mitten am Nachmittag ihren Salon betrat und sich erschöpft auf einen der bequemen Friseursessel fallen ließ.
    »Gekündigt?«, fragte Tanja, die mit anderen Neuigkeiten gerechnet hatte. Darüber zum Beispiel, wie das Gespräch mit Johannes verlaufen war.
    »Ja. Ich mache mich selbständig. Werde das tun, was mir am meisten Spaß macht: Kinderklamotten entwerfen. Olga kann mir dabei helfen, die Stoffe aus Russland zu besorgen. Ich muss mich nur an die Qualitätsvorgaben und Öko Tex Vorschriften halten – zum Glück sind die Vorschriften der Russen mit unseren vergleichbar. Für Baby- und Kinderbekleidung ist natürlich alles doppelt wichtig, aber dafür gibt es Zertifikate. Die haben Muster, die man hier so gut wie gar nicht kennt. Farbenfrohe Stoffe, die sie mir schon oft gezeigt hat. Sie hängt sie sich ans Fenster, was ziemlich bescheuert aussieht. Dass ich daran nicht schon viel früher gedacht habe! Ich entwerfe und lasse sie für mich nähen. So habe ich mir das gedacht.«
    »Ich denke, sie arbeitet im Krankenhaus?«
    »Ja, stimmt. Aber egal. Zur Not nähe ich auch selbst, das kann ich.«
    Tanja nickte anerkennend. »Klingt nach Neuanfang.«
    »Das kannst du mir glauben. Und ich habe mir vorgenommen, Alex eine Chance zu geben.«
    »Alex also? Nicht Johannes?«
    Sabina kniff entschlossen die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Nicht Johannes. Ich will ganz neu anfangen. Auf der ganzen Linie.«
    Tanja lachte. »Das will ich sehen!«

    Als wir heute im Auto unterwegs waren, bin ich völlig ausgeflippt. So schlimm, dass Sabina mich laut anbrüllte, sie baue noch einen Unfall, wenn ich keine Ruhe gäbe.
    Ich saß wie immer hinten bei Ole und Nils. Wie wir so stadtauswärts fuhren, dachte ich: Hier bin ich früher auch oft entlanggefahren, wenn ich zu Anna wollte. Wir fuhren weiter und bogen tatsächlich auf die Autobahn in Richtung Bad Homburg ein. Ich wurde tierisch nervös, meine Güte. Ich fuchtelte herum und rief »A-a-a!«, weil ich doch tatsächlich annahm, wir führen zu Anna. Aber nix da. Kurz vor der richtigen Abfahrt setzte Sabina den Blinker und bog ab zu IKEA. Da flippte ich aus. Leider, denn Ole bekam fast ein blaues Auge dabei. Ich versuchte, mich abzuschnallen, und er hinderte mich daran.
    Vor lauter Kummer verweigerte ich später meine Portion Köttbullar und spielte lieber mit Ole und Nils, die nichts dafürkönnen, dass nie das gemacht wird, was ich will.

Silvie
    Man könnte sich fragen, warum ich Johannes nicht verließ – ich liebte doch Jens. Vielleicht hätte ich ihn auch verlassen, wenn sich nicht diese ganzen Lügen vor mir aufgetürmt hätten wie eine Riesendüne. Ich hatte Johannes in der Schwangerschaft mit Ole betrogen, das war ein dicker Hund. In der Schwangerschaft! Während sein Kind in meinem Bauch herangewachsen war, hatte ich einen anderen in mir gehabt – mit viel Lust. Ich fand das selbst unmoralisch. Unmoralischer als normalen Betrug, wenn das auch schwachsinnig ist, aber schwanger fand ich es geradezu unverzeihlich. Zwar hatte ich nach Oles' Geburt das Verhältnis beendet – aber munter weitergelogen. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte ich ihm Jens als »Herrn Reimer« präsentiert; ich hatte ein Lügengerüst aufgebaut, das mich selbst komplett überforderte. Natürlich hätte ich Johannes eine neue Lüge auftischen können, und

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