Hirngespenster (German Edition)
ich überlegte auch kurz, wie ich es drehen konnte, dass am Ende alles seine Schuld war. Jens und ich phantasierten darüber. Er machte den Vorschlag, ich solle Johannes erzählen, Jens habe sich in mich verliebt, als ich so temperamentvoll in Fleming's Bar gestürmt war. Was immerhin fast auf Johannes' Initiative hin geschehen war. Oder, die harmlosere Variante: In Herrn Reimer hatte ich mich während des Beratungsgesprächs verguckt. Aber wie wir auch phantasierten, am Ende unserer Überlegungen sagte ich: »Es kommt sowieso raus, früher oder später erfährt er davon, und dann ist alles aus.« Mit »alles« meinte ich vor allem mein Gesicht vor Johannes, vor meinen Eltern, vor Johannes' Mutter, vor den wenigen gemeinsamen Freunden. Und nicht zuletzt vor meinen eigenen Kindern. Keiner würde mir das je verzeihen können.
Jens hatte an meinen Einwänden zu knabbern, das sah ich deutlich. Dennoch sagte er: »Ich will, dass du glücklich bist. Ich will mit dir zusammen sein, klar. Aber nicht auf Teufel komm raus.«
Wir einigten uns darauf, uns ab sofort abends zu treffen. Erstens hatte ich tagsüber immerzu Ole im Schlepptau, und ich wollte auch mal ein paar ungestörte Minuten für Jens und mich. Außerdem hatte er Stress im Büro wegen seiner vielen Außendienste, bei denen er kein einziges Geschäft abschloss. Man warf ihm mangelndes Engagement vor, die Zahlen stimmten nicht. Also erfand ich einen Yogakurs, der dienstagabends stattfand, und am Donnerstagabend gab ich vor, in die Sauna zu gehen. An beiden Abenden konnte ich frisch geduscht wiederkommen, ohne dass Johannes Verdacht schöpfte, oder auch daheim duschen. Beides war begründbar. Auf keinen Fall wollte ich nach Jens' Aftershave riechen oder – noch schlimmer – nach Sex. Was aber für lange Zeit gar nicht der Fall war, denn wir schliefen ohnehin nicht miteinander.
Johannes nahm es hin, dass ich an zwei Abenden pro Woche nicht zu Hause war – andere Männer hätten protestiert, wären überfordert gewesen, zwei Kleinstkinder zu Bett zu bringen – er nicht. Wenn ich ging, wünschte er mir viel Spaß, gerade so, als sei er ganz froh, dass ich fort war. Wie bei allem, so war auch das Ausgehen bei uns partnerschaftlich gleichberechtigt verteilt: mittwochs und samstags hatte er Ausgang, dienstags und donnerstags ich. Angeblich fuhr er zu Sven. Das dürfte sogar stimmen, denn so wie ich mittlerweile im Bilde bin, lief mit Sabina nichts mehr. Was die beiden Männer an ihren Abenden zu besprechen hatten, entzieht sich jedoch meiner Kenntnis. Männer sind ja nicht gerade gesprächig. Wahrscheinlich schwiegen sie sich an oder so. Immer wenn ich ihn fragte, ob es was Neues bei Sven gäbe – vielleicht eine neue Freundin –, hob er jedes Mal die Schultern und sagte: »Keine Ahnung.«
»Wie, keine Ahnung? Über was unterhaltet ihr euch denn zweimal die Woche, wenn ihr in der Kneipe hockt? Über irgendwas müsst ihr doch reden!?«
»Nö. Ich meine, klar reden wir. Über alles Mögliche eben.«
Männer!
» Ich frage mich, über was wir damals im Toffis immer gequatscht haben. Immerhin haben wir uns zweimal pro Woche dort getroffen«, sagt Sven.
» Keine Ahnung, über die Arbeit wahrscheinlich.«
» Wahrscheinlich.«
Jetzt sitzen sie wieder da und glotzen in der Gegend rum; keiner sagt was. Hallo!
»Hat sie eben hallo gesagt?«, fragt Sven und mustert mich verblüfft.
Ich bin auch verblüfft.
Johannes betrachtet mich prüfend. »Wohl kaum. Du weißt doch, dass sie nichts spricht, die Ärzte wissen auch nicht wieso. Wir machen uns mittlerweile richtig Sorgen deswegen; wenn so ein Stillstand herrscht, dann hat man das Gefühl, das wird nie was.«
Wie recht er hat. Und wie philosophisch ausgedrückt. Es trifft genau auf uns zu, wie es damals lief.
»Sie guckt aber genau so, als ob sie jedes Wort von dem versteht, was wir reden«, bemerkt Sven.
Johannes lacht. »Allerdings! Sabina meint, das wäre alles reine Taktik. In Wahrheit spioniert sie uns aus!«
Bis Jens und ich wieder miteinander schliefen, verging einige Zeit. Ich weiß nicht, ich hatte nicht so sehr das Bedürfnis. Ganz im Gegensatz zu der unstillbaren Lust, die ich während der Schwangerschaft verspürt hatte, war mir jetzt viel mehr nach kuscheln. Jens kuschelte zwar mit, aber irgendwann tat er mir leid, besonders wenn er über schmerzende Eier klagte. Ausgesprochen gerne betrachtete er sich meine »Kanonenkugeln« und sagte: »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber die sind
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