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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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umzudrehen. Alles ist längst ausgezählt. Sie ist an der Tür,
schafft es, sie zu öffnen. Ein Schritt, und sie ist dahinter, ihre Hand gibt
der Tür so viel Schwung wie möglich, nichts soll sie bremsen, nur noch ins
Schloss fallen soll sie. Sie ist bereit, die Tür sofort zu versperren.
Gleichzeitig suchen ihre Augen nach einer Waffe, nach der sie noch greifen
könnte, falls die Zeit nicht mehr reicht, ihren Angreifer auszusperren. Eine
Bewegung wie in einem Fluss. Ihre Schulter wirft sich gegen die Tür, ihre Hand
greift nach der Ginflasche auf dem Nachttisch.
    Der Koloss hat die Tür erreicht, sieht, wie sie sich vor seinen Augen
schließt. Noch ist er einen Meter entfernt, kann noch nicht seinen Körper gegen
das Türblatt werfen. Er streckt seine Hand aus, so weit es geht. Im Sprung
suchen seine Finger den kleiner werdenden Spalt zwischen Türstock und Tür. Ohne
Angst vor Schmerzen streckt er die Finger aufs Äußerste, um zu verhindern, dass
die Tür sich schließt und der Schlossriegel sein Ziel findet.
    Einen Augenblick lang denkt Marjana, es könnte zu schaffen sein. Da
tauchen Fingerkuppen im Türspalt auf und verhindern, dass die Tür sich
schließt. Vollgepumpt mit Adrenalin zieht Marjana die Ginflasche mit aller
Gewalt über die Finger. Sie krümmen sich, die Flasche bricht durch den Aufprall
auf den Türrahmen, und wieder holt Marjana aus, mit dem Ziel, den abgebrochenen
Flaschenhals auf diese Finger zu drücken, mit dem Willen, Haut und Fleisch vom
Knochen zu schaben. Im letzten Moment ziehen sich die Finger zurück, und die
Tür schließt. Marjana lässt die Flasche fallen und verriegelt die Tür.
    Wie taub presst sie das Ohr gegen das Türblatt. Ist er weg? Steht er
immer noch da? Sie verharrt, spürt keinen Schmerz und keine Angst, nur pure
Aggression. Und zum ersten Mal in ihrem Leben ahnt sie, dass sie vielleicht
sogar töten könnte. Ihre Gedanken rasen. Was ist jetzt zu tun? Wie groß ist die
Gefahr? Was soll sie den anderen sagen?
    Am Ende fasst sie den Entschluss, weder Wiktor noch Luba ausführlich
zu berichten, wie knapp sie diesem Monster entgangen ist. Denn sie spürt,
würden die anderen fliehen wollen, dann wäre ihre Mission womöglich beendet,
der Schatz für sie verloren.
    Nach einer Ewigkeit hört sie draußen eine Tür ins Schloss fallen. Es
klopft.
    »Marjana?«
    Es ist Lubas Stimme.
    »Bist du fertig? Marjana, sollen wir schon vorausgehen?«
    »Wartet auf mich. Ich bin gleich bei euch.«
    Marjana löst sich aus ihrer Starre und fährt sich über den Nacken.
Dann schlüpft sie in ihre Kleider. Als sie vor dem Badezimmerspiegel steht,
zweifelt sie schon, ob sie die Szene mit der eingeklemmten Hand tatsächlich
erlebt oder nur geträumt hat. Ein Blick in den Abfalleimer, in dem die Scherben
der zerborstenen Ginflasche liegen, belegen, dass dieser Schrecken tatsächlich
geschehen ist.
    Sie atmet noch einmal durch, dann öffnet sie vorsichtig die Tür und
sieht auf den Gang. Er ist leer. Marjana huscht hinaus, zieht schnell die Tür
zu und klopft bei Luba.
    Wiktor steht über die Karte gebeugt vor dem Tisch. Draußen vor dem
Fenster erkennt Marjana die dunkle Wand des steil aufragenden Kehlsteins mit
dem beleuchteten Haus als Krone obenauf.
    »Und, war’s schön im Pool?«, fragt Luba.
    »Ich habe einen Mann gesehen. Er stand draußen im Freien und
beobachtete mich durch die Fensterscheiben.«
    »Man beobachtet dich also beim Baden?«, spottet Wiktor. »War er
nackt?«
    »Er war angezogen, und ich bin ziemlich erschrocken, wenn du’s genau
wissen willst.«
    »Ein Spanner?«, fragt Luba alarmiert.
    »Klar, ein Spanner. Was denkst du denn?« Marjana versucht zu grinsen.
    »Jetzt kommt, gehen wir endlich was essen, sonst macht das Restaurant
noch zu. Ich habe Hunger«, drängt Luba.
    »Nimm die Karte mit«, sagt Marjana.
    »Ins Restaurant?«
    »Ja, nimm sie mit. Lass sie nicht hier im Zimmer liegen.«
    »Was ist denn das jetzt für eine Paranoia? Ist das wegen diesem Typen
am Pool?«
    »Tu, was sie sagt«, sagt Wiktor.
    Luba zuckt die Achseln, faltet den Plan zusammen und steckt ihn in
ihre Gürteltasche.
    »Was war denn los?«, zischt Wiktor Marjana auf dem Weg zu ihrem
Tisch zu.
    »Ich glaube, wir werden verfolgt.«
    »Hast du ihn von der Nähe gesehen?«
    Marjana nickt. »Und es war nicht der hässliche Kerl aus Frankfurt,
den du mir beschrieben hast. Es war ein Riese. Ein Schrank. Ein Monster.«
    »Du denkst, was ich denke?«
    »Das ist kein Frankfurter Würstchen. Er muss einer

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