Hirschgulasch
hinterher.
»Hier ist es wenigstens trocken«, stellt Marjana fest.
»Wahnsinn, wie groß das Ding ist. Was wollten die mit so einer Riesenrakete?«,
fragt Wiktor.
Die Kapsel ist ausgestattet mit Ledersitzen, Gurten und Namensschildern
über den Sitzen: »Eva, Wolf, Martin, Gerda«, liest Marjana. »Diese Schweine.«
»Wer ist Wolf?«, fragt Luba.
»Na, der Oberboss, der Herr Adolf! So hat er sich immer genannt,
wenn er inkognito bleiben wollte.«
Luba zeigt auf einen vierten Sitz, der niedriger als die anderen ist
und tiefer. »Blondi« steht auf dem Namensschild darüber. »Und wer ist das?«
»Wuff, wuff«, macht Marjana und hebt die Pfötchen.
Berchtesgaden, 30. Mai 2010
Als Weidinger am nächsten Morgen auf der Maximilianstraße durch den
Markt fährt, erschrickt er fast, wie nahe das Hochgebirge hier an den Ort
heranreicht. Der Watzmann steht da wie ein riesiges Kamel, das sich in einer
Karawane in West-Ost-Richtung bewegt, im Schlepptau gleich noch zwei weitere
Gebirgsstöcke, die er nicht benennen kann. Im Watzmann-Kar, dem Einschnitt zwischen
den beiden Hauptgipfeln, liegt jetzt im Frühsommer noch Schnee.
Als er nach der Tankstelle von der ansteigenden Hauptstraße in die
noch steilere Bayerstraße einbiegt, überholt er einen stramm in die Pedale
tretenden Mountainbiker. Und wenn nicht aus dem Helm hinten zwei blonde Zöpfe
herausschauen würden, würde er nicht darauf kommen, dass es Hauptkommissarin
Magdalena Morgenroth ist, die dabei ist, hier die Kalorien ihres Frühstücks zu
verbrennen.
Weidinger wartet auf dem Parkplatz vor der Polizeiinspektion auf
sie.
»Gibt es eigentlich auch Tage, an denen Sie nicht entweder zu Fuß
oder mit dem Rad einen Berg bezwingen?«, fragt er sie.
»Ja, schon«, sagt sie, »wenn ich krank bin«, und grinst ihn mit
roten Bäckchen an. »Ein Bergradl haben wir Berchtesgadener alle in der Garage
stehen, also mindestens eines, und drei Paar Skier für den Winter. Ich glaub,
die Bewegung liegt uns einfach im Blut. Und bei uns geht’s halt meistens
bergauf. Da gibt’s kein Entkommen.«
Sie hängt ihren Helm ans Rad und lehnt es gegen einen Baum.
»Als echter Berchtesgadener durchsteigst du irgendwann die Watzmann-Ostwand.
Du nimmst dir die Überschreitung der drei Watzmann-Gipfel vor und das
Durchklettern der senkrechten Wand hinauf zum Berchtesgadener Hochthron. Und
dafür musst du fit und gut trainiert sein. Sonst wird das nie was.«
»Ja, diese Verpflichtungen kenn ich«, sagt Weidinger. »Das ist bei
uns Münchnern ähnlich. Wir müssen auch mindestens einen Rausch auf dem
Oktoberfest gehabt haben, im Sommer jeden Samstag am Starnberger See Würstel
grillen und im Winter zum Skifahren in der Blechkarawane zum Spitzingsattel
rauf- und zusammen mit allen anderen Münchnern die Suttenabfahrt runterfahren.
Und an den Sonntagen müssen wir alle raus an den Tegernsee, zum Kaffeetrinken
beim Bachmair. Wenn’s in diesen Disziplinen einen Weltcup gäbe, dann würden wir
Münchner ihn bestimmt jedes Jahr gewinnen. Der Münchner eignet sich halt nicht
dafür, im Eiskanal zum Königssee runtergeschossen zu werden. Irgendwie geht’s
bei uns gemütlicher zu und weniger schneidig.«
Die Polizeiinspektion ist in einer Villa vom Anfang des 20. Jahrhunderts
untergebracht, mit geschnitzten Holzbalkonen und einer gemauerten
Sonnenterrasse mit Blick auf den Hausberg, den Watzmann.
Die Hauptkommissarin in ihren Klickschuhen geht sich umziehen,
Weidinger lernt währenddessen ihre Kollegen kennen: Kriminalkommissar Meik
Lebow von der Kripo Traunstein, Martin Brandner von der alpinen Einsatztruppe
Berchtesgaden sowie den Leiter der Polizeiinspektion Berchtesgaden, Erasmus
Burger. Weidinger setzt sie über den toten Wladimir López, die »Katze von
Saratow«, in Kenntnis.
»Dann ist das ja ein international bekannter Großkrimineller«, sagt
Burger. »Und der kraxelt bei uns in den Bergen umeinander? Was hat der denn
hier g’sucht? Falschgeld kann’s nicht gewesen sein, bei uns ist bisher keines
aufgetaucht. Und von der Russen-Mafia haben wir bislang auch noch keinen bei
uns im Tal gesehen.«
»Aber russische Touristen haben wir hier schon«, sagt Leni, die sich
in der Zwischenzeit umgezogen hat. »Das sind die einzigen Urlauber, die sich in
den Königssee zum Schwimmen wagen und dabei so tun, als stiegen sie in eine
angenehm warme Badewanne.«
»Ist der See denn so kalt?«, fragt Weidinger.
»Das Seewasser ist herrlich weich, es hat Trinkwasserqualität. Aber
kalt ist
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