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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Holz.«
    »Vertreter ist gut«, meinte Anne. »Sie sind der Vorstandsvorsitzende.«
    »Ah, Sie haben sich wohl … ja, das ist richtig.« Der Mann lächelte komisch. »Ich bin der Vorstand.«
    »Und warum hampelt ein Vorstand wochenlang im Wald herum? So Vorstände von Aktiengesellschaften hocken doch normalerweise in weißen Hemden in Glaskästen und reden gescheit daher.« Nonnenmacher klang wieder so aggressiv, wie Anne es von ihm gewohnt war. Die sedierende Wirkung des Mittagsbiers und der vier Leberkäsesemmeln war offensichtlich verpufft.
    »Das sind doch alles Klischees. Fakt ist, dass ich den Bayern hier ein bisschen die Gemütlichkeit austreiben muss.«
    »Sie, jetzt reißen’S sich fei zusammen!« Nonnenmacher war empört. »Gschaftlhuber, wo sich aufmandeln, wandern bei uns auf einem schmalen Grat! Mit so einem Gerede machen’S sich bei uns keine Freunde!«
    »Ja, das habe ich schon bemerkt«, meinte Mattusek ruhig. »Aber es hilft ja nichts. Ich habe hier viel Geld investiert und muss etwas daraus machen. Und von dem gefixten Break-even im Businessplan sind wir noch Lichtjahre entfernt.«
    »Businessplan! Geld ist nicht alles!«, sagte Nonnenmacher. »Schauen Sie sich um.« Nun war er an der Reihe, eine ausholende Armbewegung zu machen. »Das ist alles … paradiesisch … Bayern … Unsere Heimat.« Dann suchte er wieder den Blick des Bio-Wood-World-Chefs. »Was nennen Sie eigentlich Ihre Heimat?«
    »Düsseldorf.«
    »Au weh, wie unsere Frau Loop!« Er blickte Anne an.
    »Ich bin aus dem Rheinland, aber nicht aus Düsseldorf, Herr Nonnenmacher«, stellte diese richtig.
    »Ja, ja, halt ein Flachlandgschwerl.«
    Anne war klar, dass man jetzt wieder beim Lieblingsthema Nonnenmachers und fast aller Bayern angelangt war: der Belobhudelung der eigenen, bayerischen Heimat und dem Niedermachen von allem Nichtbayerischen. Aber dafür hatte sie diese Bergtour nicht unternommen. Deshalb sagte sie: »Ist jetzt ja auch egal.« Dann sah sie Mattusek ernst an. »Ich habe mit Ihren Holzfällern gesprochen und sie zu der vermissten Frau befragt. Die Männer meinten, Sie hätten da mehr zu erzählen. Ich bin ein wenig überrascht, dass Sie gar nichts zu wissen scheinen.«
    Jetzt schien der Holzinvestor das erste Mal die Contenance zu verlieren. Sein selbstsicherer Gesichtsausdruck wechselte in Verkrampftheit. »Die Männer haben gesagt, ich hätte …?« Mattusek blickte hinauf zu dem Marterl mit dem schneeweißen Jesus am Kreuz, das unterhalb einer Fichte in der Bergwiese steckte. Dann klingelte sein Mobiltelefon. Er machte eine entschuldigende Handbewegung und stieg mit langsamen Schritten die Wiese hinauf.
    Schnell nutzte Anne die Gelegenheit und schlüpfte durch die schmale Hüttentür nach innen. Links ging es in zwei winzige und ziemlich dunkle Schlafkammern mit Stockbetten. Rechts war die Stube, in der ein weiß emaillierter Wamsler-Ofen und eine schlichte Küchenzeile zu sehen waren. Die Wände waren mit Holz verkleidet, im Eck war ein kleines Regalbrett angebracht, auf dem einige Schnapsflaschen standen, daneben hing ein vergoldetes Kruzifix. Der Bezug der Eckbank war aus bunten Flicken gewebt, und auf dem Holztisch lagen ein dicker Aktenordner sowie einige einzelne Papiere. Anne trat schnell zu dem Tisch und schlug den Ordner auf.
    Sogleich zuckte sie überrascht zusammen, denn damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet: Anstatt irgendwelcher Unterlagen oder Formulare mit Zahlenkolonnen lag zuoberst eine Zeitschrift mit einer nackten Frau auf dem Titel. Auch wenn Anne mit pornografischen Magazinen wenig Erfahrung hatte, so erkannte sie doch auf den ersten Blick, dass es sich bei dieser Zeitschrift um eine der primitivsten Sorte handelte. Sie schlug das Heft hastig auf und sah sich bestätigt: Hier ging es weniger um die geschmackvolle Darstellung nackter weiblicher Schönheit als vielmehr um die detaillierte, hoch realistische und ungeschönte Zurschaustellung von Geschlechtsteilen und Kopulationsszenen. Anne wollte den Ordner gerade zuklappen, da trat Mattusek ins Dunkel.
    »Oh«, ließ er verlautbaren, als er sah, was Anne zu Gesicht bekommen hatte. Der Investor räusperte sich verlegen. »Das ist, ähm … wissen Sie … also, ich bin … nämlich … allein hier«, presste er hervor. Jetzt trat auch Nonnenmacher hinter dem Geschäftsmann in die Hütte, was diesen zu einem hektischen Blick über die Schulter veranlasste. »Ich … also, meine Frau, die ist in Düsseldorf. Also … deshalb …

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