Hirschkuss
wollte es wagen. »Aber jetzt zu etwas anderem: Ich habe beim Joggen im Wald vier Holzfäller kennengelernt und sie gefragt, ob sie am vergangenen Wochenende irgendwelche auffälligen Beobachtungen gemacht haben.«
»Am Wochenende arbeitet kein Holzfäller, das weiß doch jedes Kind!« Nonnenmacher war also noch immer im Wutmodus.
»Das ist genau der Punkt, Herr Nonnenmacher«, sagte Anne. »So war es früher. Doch der Wald ist von der Firma Bio Wood World AG aufgekauft worden. Und seither gelten die alten Regeln nicht mehr. Die Männer, die früher für die Bayerischen Staatsforsten gearbeitet haben, sind jetzt Angestellte dieses Konzerns.«
»Und was haben mir damit am Hut?«, blaffte Nonnenmacher seine Untergebene an.
»Das weiß ich noch nicht«, gab Anne ehrlich zu. »Es war nur so eine komische Situation: Als ich die Männer nach Hanna Nikopolidou fragte, wechselten sie das Gesprächsthema und kamen auf den neuen Waldbesitzer zu sprechen.«
»Ja, und?« Nonnenmacher schnaubte. Er hatte die Auseinandersetzung von gerade eben ganz offensichtlich noch überhaupt nicht verarbeitet. War da nicht sogar ein Knurren seines nervösen Magens zu vernehmen?
»Die Männer machten komische Andeutungen. Ich solle mich doch mal mit ihrem neuen Chef, dem Herrn Mattusek, befassen …«
»Also, Anne, ich weiß nicht, aber das ist ja schon ein bisschen dünn. Wo siehst du da eine Verbindung?«, sagte Kastner und gab der Topfpflanze, die müde auf dem Fensterbrett vor sich hin welkte, mit einem Wasserglas ein wenig zu trinken.
»Ich habe ein Gefühl. Und ich werde diesem Gefühl nachgehen. Jetzt. Weil ich glaube, dass dieser Mattusek uns wirklich weiterhelfen könnte. Wieso sollten die Holzfäller sonst so seltsam den Zeigefinger auf ihn richten?« Sie griff zum Hörer und gab die Nummer ein, die ihr Steff Nachtweih bei der Verabschiedung noch zugesteckt hatte.
Der Waldinvestor Mattusek klang nicht begeistert, aber er erklärte sich zu einem Treffen bereit. Allerdings, sagte er, habe er heute im Wald nahe der Liedler Alm zu tun. Ob es Anne etwas ausmachen würde, dorthin zu kommen? Hierzu müsse man südlich des Sees einen Forstweg entlangfahren, eine Mautstelle passieren, der Straße bis zum Ende folgen und dann noch ein kurzes Stück zu Fuß gehen. Der Wanderweg sei nicht sehr lang, aber steil. Man könne sich natürlich auch erst am nächsten Tag treffen.
Anne aber wollte sich den Investor möglichst bald vorknöpfen. Nach dem Telefonat sah sie ihre beiden Kollegen angriffslustig an und fragte: »So, und wer kommt jetzt mit? Oder wollt ihr eine schwache Frau allein in den dunklen Wald schicken?«
Eigentlich hatte Anne damit gerechnet, dass Sepp Kastner sich sofort bereit erklären würde, sie zu begleiten, doch der sagte nur: »Also, ich habe noch was anderes zu tun.« Auf Annes erstaunten Blick hin fügte er an: »Da ist noch die Sachbeschädigung an Motorrädern in der Max-Joseph-Straße und die Körperverletzung, ausgeübt von einem weiblichen Gast zulasten einer Bedienung sowie eines anderen Gastes.« Kastner dachte einen Moment nach. »Und dann hat da doch noch jemand Gartenmöbel im Alpbach entsorgt.«
»Ah ja, ich verstehe.« Die Ironie in Annes Stimme war nicht zu überhören. »Also drei sehr wichtige Fälle.« Sie war beleidigt und irritiert.
Doch zur Überraschung aller sagte jetzt Nonnenmacher: »Dann komm halt ich mit zu diesem komischen Waldinvestor.«
»Echt?« Anne sah den Inspektionschef ungläubig an.
»Warum auch nicht?«, meinte dieser, als hätte es die Griechenlandkrise im Dienstzimmer vor wenigen Minuten gar nicht gegeben.
»Wow, gut, Chef, dann schaue ich jetzt noch kurz nach, was es mit dieser Bio Wood World AG auf sich hat. Damit wir nicht völlig blank bei Mattusek aufkreuzen. Ich sehe zu, dass ich ein paar Infos aus dem Internet ziehe, und komme dann zu Ihnen rüber, okay?«
»Tja dann – bis gleich«, antwortete Nonnenmacher und genoss es sichtlich, seine beiden Mitarbeiter überrascht zu haben. Dass er ein Buch über moderne Menschenführung gelesen hatte, verriet er natürlich nicht. Eine kluge Führungskraft hat Geheimnisse.
Anne setzte sich sofort an den Computer und fand heraus, dass es sich bei Bio Wood World um einen auf Rohstoffinvestments spezialisierten Konzern handelte. Der Sitz wurde auf der Website des Unternehmens mit Düsseldorf angegeben. Als Vorstandsvorsitzenden der Aktiengesellschaft nannte das Impressum Wolfgang Mattusek. Anne fragte sich, warum der
Weitere Kostenlose Bücher