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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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zu küssen, aber als er dann endlich da war, stellte sich dies als gar nicht so einfach heraus. Letztlich beendete ein präpubertäres »Spuckewechsel, Holzgedrechsel« aus Lisas Mund die Zärtlichkeiten der Erwachsenen. Die drei bestellten Lachsforelle für Anne, eine frische Renke für Johann und ein Backfischfilet im Baguette für Lisa. Dann sah Johann Lisa und Anne an: »Ist es nicht toll, dass heute Freitag ist? Und für morgen habe ich auch noch die Kanzleisitzung abgesagt.« Er zögerte und schob stolz hinterher: »Das habe ich noch nie gemacht, seit ich dort arbeite.«
    »Echt?« Anne spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Dass Johann das tat, hatte etwas zu bedeuten. Hatte das etwas zu bedeuten?
    »Ich dachte, wir könnten etwas zusammen unternehmen.«
    »Was denn?«, fragte Anne und warf einen prüfenden Blick auf Lisa. Sie war gespannt darauf zu sehen, wie ihre Tochter auf diese neue Männersituation reagieren würde.
    »Keine Ahnung, wandern, radfahren …«, schlug Johann vor. »Mir ist es ehrlich gesagt völlig wurst, was wir machen. Hauptsache, wir machen etwas zusammen.«
    Hatte da jemand eine Entscheidung getroffen? Anne wagte nicht, sich zu freuen.
    »Also, auf Radfahren und Wandern hab ich keinen Bock«, meinte Lisa lustlos. »Ich will ins Strandbad oder ins Kino!«
    »Ins Kino, bei dem tollen Wetter, das es morgen haben soll? Und ›keinen Bock‹ sagt man nicht, das heißt ›keine Lust‹!«, mahnte Anne und kam sich dabei entsetzlich alt vor.
    »Na, dann eben ins Strandbad«, meinte Johann fröhlich. Er sah Anne verliebt an. Keiner der beiden dachte in diesem Moment darüber nach, dass die Grenze zwischen einem dämlichen und einem verliebten Blick weit schmäler war als der Grat von der Blaubergalm zur Halserspitze. Die Liebe war eine seltsame Angelegenheit.
    »Ihr seid voll süß«, kommentierte Lisa das Geturtel der Erwachsenen.
    »Klappe!«, befahl Anne. »Also, meinetwegen können wir morgen ins Strandbad gehen. Aber vorher müssten wir noch einen kurzen Termin wahrnehmen.«
    »Oh, das hört sich aber amtlich an«, sagte Johann ironisch, was Anne ein wenig beleidigte.
    »Ja, ich will mir den Jäger vorknöpfen. Blasius Singer. Die Studenten sind nämlich an einer Anthraxinfektion gestorben. Und im Mülleimer ihrer Ferienwohnung haben wir verseuchtes Wildfleisch gefunden. Da wäre es doch interessant zu hören, was einer der wichtigsten Jäger im Tal dazu meint.«
    »Und da sollen wir mitkommen? Ist ja voll doof«, nölte Lisa.
    »Das dauert nicht lange … und wir könnten danach Weißwürste frühstücken und in den See hüpfen.«
    »Nur, wenn wir ins Strandbad gehen! Auf Baden zu Hause habe ich keinen Bock!«
    »Mein Gott, Lisa, andere Kinder wären froh, wenn sie in einem Haus direkt am See wohnen dürften! Und du willst immer nur ins Strandbad. Das ist doch blöd!« Anne schaute wütend zum anderen Seeufer, wo die Türme der Klosterkirche im Abendlicht leuchteten. Die Polizistin mochte das Strandbad nicht. Dort tummelten sich ihr zu viele Leute. Außerdem hatte sie eine Aversion gegen Bonbonpapierchen in der Wiese und Wespen am Stieleis.
    »Ja, ja, und die armen Kinder in Afrika würden sich freuen, wenn sie wenigstens das essen dürften, was wir auf unseren Tellern übrig lassen«, maulte die Neunjährige.
    »Genau«, meinte Anne, »und jetzt hältst du die Klappe, sonst zieh ich dir die Ohren lang.«
    »Dann geh ich zur Polizei, haha!« Lisa war in dem Alter, in dem Mädchen immer das letzte Wort haben mussten.

Eine Weißwurst kann man nicht mit Ketchup essen.
    Blasius Singer, Jäger
    SECHS
    Samstag

    In der gerade erst geöffneten Klosterwirtschaft war noch nicht viel los, als Anne sie mit Johann und Lisa im Schlepptau betrat. Als Anne vor einigen Tagen im Wald den Streit zwischen einem Jäger und dem Holzinvestor Wolfgang Mattusek belauscht hatte, hatte sie den Mann nicht so genau betrachten können. Doch jetzt sah sie, dass Blasius Singer, der einen angegrauten Dreitagebart trug und in ledernen Bergschuhen, braunem Janker und grüner Arbeitshose an einem der Biertische im hintersten Raum des Bräustüberls saß, etwa Mitte vierzig sein mochte – und dass es zweifellos er gewesen war, der mit dem gezogenen Hirschfänger auf Mattusek losgegangen war. Unter dem Tisch lag der Hund des Jägers, den Anne schon kannte. Neugierig hob das Tier den Kopf.
    »Guten Tag, Anne Loop mein Name. Sie sind der Herr Singer?«, fragte Anne und bot dem Jäger die Hand. Ohne aufzustehen,

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