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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Andenalpaka: »Ganz ruhig, der Herr Doktor, ganz ruhig. Wer sich aufregt, verliert.«
    Anne und Kastner tauschten vielsagende Blicke. Sie konnten ja nicht wissen, dass der Chef neuerdings Managementbücher las.
    Den Rest des Freitags verbrachten Anne und Kastner damit, die Spuren der Verstorbenen zurückzuverfolgen. Es stellte sich heraus, dass Maximilian Pfosten und seine Freundin Annette Mikitsch ein kleines Ferienapartment in der nördlichen Seegemeinde gemietet hatten, aber eigentlich von der Nordseeinsel Borkum stammten. Die Vermieterin, die im selben Haus wohnte, öffnete den Polizisten widerwillig die Ferienwohnung.
    »Also reich waren die nicht«, meinte Kastner, nachdem er und Anne die Behausung betreten hatten. »Das ist ja winzig.«
    »So was muss es auch geben. Oder willst du, dass nur noch Oligarchen hier Urlaub machen?«, hielt ihm Anne entgegen.
    »Nein, ich mein ja bloß.«
    Das Apartment bestand aus einer Wohnküche, die so winzig war, dass das ausgeklappte Schlafsofa beinahe an die Küchentheke stieß, die offensichtlich auch als Esstisch dienen sollte. Außerdem gab es ein Bad mit Dusche und Toilette.
    »Wie viel kostet denn eine Nacht bei Ihnen?«, fragte Anne die Vermieterin, die eine Frau Mitte fünfzig war und in ihrem karierten Rock und der grauen Bluse selbst nicht sehr wohlhabend wirkte.
    »Fünfzig Euro. Bettwäsche ist nicht dabei.«
    »Wie lange haben die beiden Studenten schon bei Ihnen gewohnt?«
    »Heute ist’s genau eine Woche.« Die Frau stand jetzt in der Kochecke und wollte gerade ein Glas ins Spülbecken stellen.
    »Halt, halt, halt!«, rief Kastner panisch. »Finger weg! Sie rühren hier gar nix an! Mir müssen das alles durchsuchen. Und Sie lassen bitte alles so, wie es ist.«
    Die Frau blickte ihn beleidigt an. »Ja, ja, tut mir leid.«
    Kastner war etwas verlegen. »Aber wir müssen doch unsere Arbeit tun!« Er warf Anne ein Paar Einweghandschuhe zu und bat die Pensionswirtin, die Wohnung zu verlassen. Dann machten sich die beiden an die Arbeit.
    Im Mülleimer wurde Anne fündig, musste sich allerdings beinahe übergeben. Aus dem Behältnis unter der Spüle strömte ihr ein Geruch von Verwesung entgegen. Anne riss den Kopf hoch und ächzte: »Urrgh, Seppi, ich glaub, ich hab’s.« Mit dem behandschuhten Handrücken schob sie sich die Haare aus dem Gesicht. »Hier ist das Zeug. Boah, stinkt das!« Im Mülleimer lagen übel riechende Fleischreste und Knochen.
    »Dann mach sofort wieder zu!«, schrillte Kastner, er war außer sich. »Der Fritzenkötter hat gesagt, dass das Sporen sind, die wo sich überallhin verteilen! Also, ich brauch das nicht! Am Ende flacken mir beide auch noch da wie die zwei Studenten …«
    Sofort knallte Anne die Tür des Spülschranks mit dem Knie wieder zu. »Nichts lieber als das«, näselte sie. »Und jetzt?«
    »Ich hol einen Müllsack aus dem Auto. Dann packen mir den kompletten Eimer hinein und fahren’s in die Rechtsmedizin. Die sind da härter im Nehmen wie mir. Außerdem …«, er blickte auf seine Armbanduhr, »… ist’s eh schon sechs Uhr durch.«
    »Echt?«, fragte Anne erschrocken. »Fuck! Ich muss zu Lisa!« Hastig zog sie die Handschuhe aus, fischte ihr Handy aus der Hosentasche und sagte kurz darauf in den Hörer: »Hallo Fee, ich bin’s. Du, es wird ein bisschen später … Ja … mach dir schon mal ein Brot … Ja, meinetwegen mit Nutella, obwohl wir eigentlich ausgemacht hatten, dass es abends kein Nutella gibt … Ja, gut … Ja, das ist aber eine Ausnahme.«
    »Was ist denn das?«, hörte sie Kastner sagen, als sie gerade die rote Auflegetaste des Smartphones drückte. Ihr Kollege hielt ein Blatt in der Hand, das offensichtlich aus dem Internet ausgedruckt worden war. »Reh Royal«, las Kastner vor. »Ein Rezept für einen Wildburger.« Er hob den Blick. »Dann haben die sich quasi ihre eigene Todesmahlzeit gekocht. Ist das nicht furchtbar?«
    Im Auto nahm Anne ein Parfümpröbchen aus dem Handschuhfach und sprühte wild damit herum, bis Sepp Kastner aufstöhnte. »Hör auf, das ist ja nicht zum Aushalten!«
    »Ich krieg aber diesen Drecksverwesungsgeruch nicht aus der Nase.«
    »Ja, aber so eine Überportion Parfüm stinkt doch genauso!« Kastner schnappte nach Luft wie ein Hecht auf dem Trockenen und ließ alle vier Fenster des Dienstwagens nach unten fahren. Gegen den Fahrtwind anschreiend, zählte er auf: »Wir müssen Antworten finden auf drei Fragen: Woher kommt das Fleisch? Wer wollte den Studenten Böses?

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