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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Kastner stöhnte auf. »Es gibt ja noch andere Formen. Man kann einen Josef ja zum Beispiel auch Sepperl, Jossi, Jupp, Peppo und Pepperl nennen. Diese ganzen Namen braucht man praktisch in jedem bayerischen Dorf, weil wenn jetzt – bloß als Beispiel – der Familienvorstand vom Waxingerhof Sepp heißt und dem sein Sohn Seppi, dann kann ja der Vater vom benachbarten, ich sag jetzt einmal, vom Rotzmoserhof, nicht auch Sepp heißen. Da bekommt man sonst ja ein Mordsdurcheinander! Es gibt Missverständnisse, Streit, Wirtshausschlägereien und am Ende Totschlag!«
    »Und wie löst ihr klugen Bayern das?«, fragte Anne mit mädchenhafter Stimme. Die Ernsthaftigkeit, mit der Kastner das Thema behandelte, amüsierte sie.
    »Ganz einfach: Den Rotzmoser-Vater heißt man dann zum Beispiel Sepperl. Und dem seinen Sohn, also den zweiten Rotzmoser, heißt man Pepperl, dem seinen Enkel heißt man wieder Peppo und so weiter.«
    »Und wenn es noch einen Nachbarn gäbe, dann könnte der Joschka heißen.«
    Anne meinte diesen Vorschlag nur halb ernst, doch in dieser Sache ließ Kastner nicht mit sich spaßen: »Na, Anne, also das ginge jetzt einmal garantiert nicht.«
    »Warum nicht?«
    Kastner lauschte kurz: »Du, das ist jetzt die Feuerwehr. Au weh, das ist was Schlimmers.«
    »Was ist eigentlich mit dem Polizeifunk? Wieso bekommen wir über den Funk nichts rein?« Anne deutete auf das Gerät in der Armatur des Fahrzeugs.
    »Der ist kaputt, das Gelump! Ich hab’s dem Kurt schon letzte Woche gesagt, der Wagen muss in die Inspektion! Aber der Kurt hat gesagt, dass mir wegen der europäischen Finanzkrise jetzt auch bei uns in der Dienststelle den Gürtel enger schnallen müssen. ›Bayern muss die Welt retten‹, hat er gesagt. Deswegen wird die Reparatur vom Funk aufgeschoben.« Kastner zögerte einen Moment. »Er hat auch vorgeschlagen, dass jeder sein eigenes Klopapier von daheim mitbringt. Aber da hab ich gesagt, dass er mir den Buckel runterrutschen kann.« Annes Kollege machte mit der Hand den Scheibenwischer vor seinem Gesicht. »Balla, balla, der Kurt, manchmal.«
    »Warum kann ein Bayer nicht Joschka heißen?«, griff Anne das Gesprächsthema von gerade eben wieder auf.
    »Weil das von Natur aus schon nicht geht. Joschka ist allerhöchstens ein Außenministername, aber …«, Kastner überlegte, »… du, zum Beispiel, heißt ja auch Anne.«
    »Ja?« Anne sah ihren Kollegen erwartungsvoll an. »Und?«
    »Ja, das wär in Bayern auch unvorstellbar.«
    »Warum denn das?«
    »Weil das ein Preußenname ist. In Bayern tätst du Anna heißen müssen, oder wenigstens Annemarie.«
    »Soso, ein Preußenname … na ja …«, meinte Anne indigniert. »Ich glaube, wir sind jetzt da.«
    Sie hatten eine Kreuzung zweier Forstwege erreicht, an der bereits drei Feuerwehrfahrzeuge, zwei Krankenwagen und ein ziviles Auto parkten.
    »Ich glaube, wir parken einfach hinter dem Auto da drüben, Seppi«, schlug Anne vor.
    Kastner schickte ihr einen genervten Blick. »Sepp heiße ich! Ich hab’s dir doch erklärt: Weil mein Vater schon lange tot ist, bin ich der Seniorchef und damit der Sepp. Und wenn ich einen Sohn hätt, dann würde der Seppi heißen, zefix nochmal!« Dann stoppte er den Wagen abrupt und stieg aus. »Was machst jetzt du da, Schellinski?«, raunzte er den Mann mit dem Fotoapparat an, der eifrig knipste. »Überall diese Franken! Hast wieder den Polizeifunk abgehört?«
    Über den Baumwipfeln ratterten die Rotorblätter eines Hubschraubers.
    »Ich hab die Explosion g’hört«, erwiderte der rund Fünfzigjährige mit den schwarzen Haaren mit heiserer Stimme. Er paffte einen Zigarillo. »Den Bolizeifunk würd ich nie abhören.«
    »Was soll das sein, ein ›Bolizeifungg‹?«, äffte Nonnenmacher, der aus dem Schatten eines Baumes zu den Kollegen getreten war und gerade den Hosenladen zuzog, den Dialekt des freiberuflichen Lokalzeitungsreporters nach.
    »Ich sach doch net Bolizeifungg, sondern Bolizeifungg!«, erwiderte der Zigarilloraucher beleidigt.
    Ehe Nonnenmacher eine weitere Beschimpfung loswerden konnte, hatte er die Einsatzfahrzeuge umrundet. Das Ausmaß des Gemetzels verschlug ihm die Sprache.
    »Ja, gibt’s denn das?«, entfuhr es Nonnenmacher.
    Auch Anne schluckte.
    »Dass ein Mensch aus so vielen Teilen bestehen kann!« Kastner kämpfte beim Anblick der Leichenteile gegen den Brechreiz.
    »Wer sagt denn, dass es sich bloß um einen handelt?«, knurrte der Inspektionschef leise und ließ seinen Blick nachdenklich

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