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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Johann gähnte.
    »Dass sie das kann …« Anne zog die Decke über ihre nackte Brust und lächelte verschlafen. »Ich habe eine große Tochter, die Kaffee kochen kann!«
    Der Vormittag verlief mit einer Gewöhnlichkeit, die Anne gar nicht fassen konnte: Zwar hatte Lisa tatsächlich Kaffee gekocht und auch bereits den Frühstückstisch auf der Terrasse gedeckt, was etwas Besonderes war. Aber sonst fühlte sie sich wie eine Frau einer ganz normalen Familie, die einen ganz normal schönen Sonntagvormittag verbringt. Die Kirchenglocken der Klosterkirche läuteten alle Viertelstunde, die Enten schnatterten, und weit oben am wolkenlosen Himmel drehte ein Habicht seine Kreise. Die drei frühstückten und saßen danach in der Sonne. Johann las Zeitung, Lisa hatte sich die Extraseite für Kinder geschnappt, und Anne blinzelte zum Malerwinkel hinüber.
    Es war längst elf Uhr durch, und Anne hatte eben gesagt, dass man an diesem Tag doch gut auf Unternehmungen verzichten könne, da klingelte im Haus das Telefon.
    »Ich geh da jetzt nicht ran«, sagte sie bestimmt.
    »Soll ich hingehen?« Lisa blickte von ihrer Lektüre auf.
    »Nö, heute ist Sonntag. Die können uns alle mal!«
    Das Telefon hörte auf zu läuten, doch wenig später ertönte Annes Handyklingelton. »Nervensägen! Ich habe keinen Bock!«
    Doch Lisa war bereits im Haus und rief: »Mama, das ist der Kastner Sepp!«
    Kastner sprach so laut, dass auch Johann und Lisa jedes Wort verstehen konnten: »Notfall, Anne! Da ist eine Bombe explodiert im Wald! Ich bin in fünf Minuten bei dir. Der Kurt kommt auch!«
    »Fuck«, entfuhr es Anne.
    Bei der Verabschiedung küsste sie Johann lange auf den Mund. Als sie schon auf dem Weg zur Tür war, sagte er: »Ich soll mir also mehr Zeit nehmen?« Es klang nicht ironisch. Anne sah sich kurz um und lächelte ihn an. »Ich liebe dich.«
    Bevor er etwas erwidern konnte, war sie schon draußen.
    Kastner wartete bereits mit laufendem Motor auf der Schwaighofstraße. »So ein Scheißtag!«, fluchte er, als Anne den Sicherheitsgurt einrasten ließ.
    »Also, ich fand den Tag traumhaft – bis gerade jetzt.«
    »Hast du die Explosion nicht gehört?«
    »Nö, wieso?«
    Kastner haute mit dem Handballen auf das Lenkrad. »Bumm, das hat sich angehört wie im Krieg.«
    »Seppi, mach mal die Fenster zu, es zieht.«
    »Ach geh!«
    »Und fahr nicht wie ein Henker, mir wird sonst schlecht.«
    »Bist du schwanger?«
    Ohne darauf einzugehen, erkundigte sich Anne: »In welchem Wald ist es denn eigentlich passiert?«
    »Ganz in der Nähe von dem Wellnesshotel von der Nikopolidou, beim Leeberg droben. Mit dem Hotel da stimmt irgendwas nicht, das sag ich dir!«
    »Seeeeepp!«, schrie Anne, Kastner riss das Lenkrad nach links und dann gleich wieder nach rechts. Das entgegenkommende Auto hupte wie wild.
    Kastner schrie seine Kollegin an: »Ja sag einmal, bist du jetzt total verrückt geworden? Schreist mich an, dass ich gleich einen Unfall bau!«
    »Da war ein Eichhörnchen!«
    »Ein Eichhörnchen? Ich glaub ich spinn!« Kastner schüttelte den Kopf und griff das Lenkrad derart fest, als handelte es sich um einen Presslufthammer. »Und wegen so einem Eichhörnchen machen mir jetzt Kamikaze, oder was?« Er atmete schwer. »Übrigens heißt man das in Bayern Oachkatzerl.«
    »Das weiß ich doch, Seppi. Und den Schwanz vom Eichkätzchen nennt man Eichkatzenschwoof.«
    »Doch nicht Eichkatzenschwoof!« Kastner war entsetzt. »Oachkatzerlschwoaf.« Er hupte, weil ein Wanderer im Tischdeckenhemd nicht schnell genug über die Straße kam. »Und nenn mich nicht Seppi! Mein Vater ist schon lang tot.«
    »Was hat das denn mit deinem Vater zu tun?«
    Kastner wandte seinen Blick kurz zu Anne hinüber, dann setzte er zu einer Erklärung an: »Du weißt doch, dass in praktisch jeder zweiten bayerischen Familie der Vater Josef heißt.«
    »Echt? Ist das wirklich wahr?«
    »Ja, oder wenigstens in jeder dritten.« Annes Kollege hatte sich wieder einigermaßen beruhigt und fuhr nun auch langsamer, obwohl es ja noch immer ein Notfall war. »Das ist eine schöne bayerische Tradition. Aber das bringt natürlich auch ein Problem mit sich.«
    »Verwechslungsgefahr?«
    »Genau. Und wegen dieser Verwechslungsgefahr nennt man immer bloß den Seniorchef der Familie Sepp. Und den ältesten Sohn nennt man Seppi.«
    Von irgendwo weit her ertönte die Sirene eines Krankenwagens.
    »Aber was ist, wenn dieser Seppi auch einen Sohn bekommt? Nennt man den dann Seppilein?«
    »Nein!«

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