Hirschkuss
haben – warum sollten sie dann nicht auch das Fleisch verkaufen? Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie was mit den Anthraxfällen zu tun haben!«
Ehe Nonnenmacher antworten konnte, klopfte es an der Tür, und der Polizeilehrling Hobelberger stand im Raum.
»Chef, da sind zwei, die wo Sie sprechen wollen.«
Nonnenmacher schaute böse, der Azubi schwitzte. »Mir haben keine Zeit. Sag denen, mir sind mitten in Mordermittlungen.«
»Es ist aber …«, stotterte Hobelberger, der sich in den vergangenen Wochen einen Flaum auf der Oberlippe hatte wachsen lassen, »… die Frau Nikopolidou.«
»Die Frau Nikopolidou ist tot, du Depp«, donnerte Nonnenmacher.
»Ich nix tot, ich hier«, sagte die kleine, dunkelhaarige Person, die sich an Hobelberger vorbei ins Besprechungszimmer schob. »Ich bin Mutter von Hanna – und hier ist Philipos.«
Sofort sprang Anne auf und begrüßte die beiden. »Wir kennen uns ja schon, Frau Nikopolidou. Was führt Sie zu uns?«
Die Griechin erklärte in gebrochenem Deutsch, dass es sich bei dem jungen Mann um ihren Neffen handle. Man habe einen Ausflug an den See gemacht, auch um zu sehen, wo »Hanna-Kind« gestorben sei. Bei diesen Worten traten der kleinen Frau Tränen in die Augen.
»Hanna gute Tochter! Aber privates Leben Katastrophe. Kein Heirat, kein Mann, wo schutzt, und jetzt tot.« Frau Nikopolidou schluchzte laut.
Anne nahm sie in den Arm. »Es tut mir so leid für Sie«, sagte die Polizistin leise. »Ich habe auch eine Tochter.«
Die Frau klammerte sich noch eine Weile an Anne fest und jammerte.
»Diese südländische Trauerverarbeitung macht mich wahnsinnig!«, brummte Nonnenmacher, und Hanna Nikopolidous Cousin stand verloren im Raum herum. Anne beobachtete ihn – sie hatte den Eindruck, als wäre die Tatsache, dass die beiden Hannas Sterbeort besuchen wollten, nicht der einzige Grund, der sie hierher führte.
Und tatsächlich: Nonnenmacher hatte den Raum bereits verlassen, da stotterte plötzlich Philipos in noch schlechterem Deutsch als seine Tante los. Nach einigem Nachfragen verstand Anne, dass er wissen wollte, ob man nicht Geld in Hannas Wohnung gefunden habe. Sofort war die Polizistin wie elektrisiert. Warum er dies frage, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Hanna in Griechenland Besuch. Hunderttausend Euro mit Deutschland. Geld weg.«
»Sie meinen, Hanna hat Geld von Ihnen mitgenommen und nach Deutschland gebracht?«, rückversicherte sich Anne.
»Ja. Geld da? Polizei hat?«
»Warum haben Sie Hanna so viel Geld mitgegeben?« In Annes Kopf rasten plötzlich die Gedanken. Wegen der Wirtschaftskrise hatten Tausende Griechen ihr Geld ins Ausland geschafft. War Hanna – unabhängig von ihrem sinnlosen Tod – doch in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt gewesen?
»Investment. Hanna Investment in Deutschland«, radebrechte der Grieche.
»Sie sollte das Geld für Sie in Deutschland anlegen?«
»Ja, ja, ja«, erwiderte dieser mit heftigem Kopfnicken. »Und? Geld da, Polizei?«
»Ja«, meinte Anne nachdenklich, »das Geld ist da. Woher hatten Sie denn so viel Geld?«
»Spart. Philipos Geld spart gut«, mischte sich Hannas Mutter eifrig in das Gespräch ein. »Hanna sagt, Geld besser sicher in Deutschland als Griechenland.«
Anne nickte. »Das Geld haben wir sichergestellt. Allerdings werden wir nicht darum herumkommen, zu überprüfen, ob es aus legalen Quellen stammt.«
»Alles legal, alles legal, Ehrensach«, versicherte Efgenia Nikopolidou. Sie zögerte kurz und sah Anne bittend an. »Kann Philipos Geld mitnehmen jetzt? Fährt morgen wieder Griechenland.«
»Oh, nein«, meinte Anne freundlich und unterdrückte ein Schmunzeln. »Das kann er nicht. Das Geld ist einstweilen als Beweismittel sichergestellt. Das können wir erst herausgeben, wenn wir den Fall abgeschlossen haben.«
»Aber jetzt Philipos hier«, insistierte die Griechin. »Jetzt perfekt praktisch. Nächste Jahr nix praktisch.«
»Ist mir schon klar, dass das jetzt praktisch wäre«, erklärte Anne, »aber das geht nicht. Außerdem haben wir das Geld ja nicht in bar hier herumliegen. Es ist bei der Kripo.«
»Ah, Kripo!«, meinte die Griechin. Dann sprach sie in ihrer Muttersprache zu dem Neffen, er entgegnete etwas, und schließlich verkündete die kleine Frau: »Dann wir gehen Kripo.« Sie wandte sich zur Tür.
»Halt, halt«, rief Anne, »bei der Kripo ist das Geld auch nicht.«
»Wie, auch nicht? Geld doch weg?« Frau Nikopolidou war entsetzt.
»Nein, das Geld ist nicht weg,
Weitere Kostenlose Bücher