Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
Vom Netzwerk:
Telefon auf den Tisch, sofort!«
    »Ja, Josef, bist du wahnsinnig?«, schrie Soder den Kollegen an. »Tu die Pistole runter!«
    »Das tu ich nicht, niemals tu ich das!« Die Stimme des dunkelhäutigen Hünen mit dem Dreitagebart überschlug sich.
    »Ich pack das nicht mehr, diesen ganzen Zirkus! Die Polizei, die Helena, meine Familie – alles ist zerstört! Und wer ist schuld?« Er stierte Anne an. Diese wirkte, als hätte sie jemand schockgefroren.
    »Josef, gib die Pistole her, zefix!«, forderte Soder noch einmal. »Du wirst dein Lebtag nicht mehr glücklich! Mach jetzt keinen Scheiß!«
    »Mein Leben ist doch eh am Ende!« Hannawalds Blick war leer. »Ich bring euch alle um!« Er schwenkte ungelenk mit der Pistole durch den Gastraum. Einige Gäste des Lokals hatten unter den Tischen Deckung gesucht.
    Jetzt rief Anne: »Herr Hannawald, beruhigen Sie sich! Das sind alles unschuldige Menschen! Die können nichts für Ihr Unglück!«
    »Mein Unglück, ja, ja, ja … mein Unglück«, lallte der Holzfäller und klang zutiefst resigniert. Ehe es jemand verhindern konnte, hatte sich der schwere Mann die Waffe an die Schläfe gelegt und abgedrückt. Der Knall zerfetzte die Stille, Hannawald kippte mit dem Oberkörper auf den Tisch, an dem Anne und die anderen Holzfäller saßen, Gläser fielen um, zerbarsten unter Geschepper, Bier mischte sich mit Blut, doch das Gesicht des Leblosen mit dem halb geöffneten Mund sah plötzlich entspannt aus.
    Nach einer Schrecksekunde legte Anne Zeigefinger und Mittelfinger ihrer rechten Hand an die Halsschlagader des Holzfällers: Josef Hannawald war tot. Sofort rief die Polizistin die Kollegen an. Nonnenmacher war nicht begeistert, er genoss am heimischen Fernseher gerade mit seiner Frau Helga einen Schlumpffilm. Auch Wurstsalat gab es, es war ein Abend wie im Paradies. Aber das war nun dahin. Der Dienst rief.
    Für Kastner war der nächtliche Einsatz nicht ganz so schlimm, er war sogar froh, von zu Hause wegzukommen, denn seine Mutter hatte ihn dazu verdonnert, das frisch gespaltene Brennholz aufzustapeln. Obwohl die Kollegen sich beeilten, war es längst stockfinster, als sie endlich an der Hafner Alm anlangten. Ohne jede Gegenwehr ließen sich Leonhard Soder und Uli Zernet abführen.
    »Vier kleine Holzfällerlein«, sang Nonnenmacher. »… die gingen in den Wald. Der eine wurde in die Luft gesprengt, da war er schon gleich kalt. Drei kleine Holzfällerlein, die tranken gerne Bier, einer schoss sich in den Kopf, da waren’s nur noch …« Er brach ab und blickte die beiden Männer in Handschellen an. »Und was jetzt wohl mit euch passiert …?«
    »Das finde ich mal richtig geschmacklos, Chef!«, fuhr Anne den Inspektionsleiter an.
    »Ist doch wahr! Die haben mir meinen Abend versaut! Und außerdem, Frau Loop: Wenn Sie besser auf Ihre Dienstwaffe aufgepasst hätten, dann wär das doch niemals passiert!«

Freitag

    Am nächsten Morgen schien die Sonne derart stark, dass die Thermometer im Tal bereits um Viertel vor acht Uhr über dreißig Grad anzeigten. Uli Zernet und Leonhard Soder saßen schon mit Kastner im Besprechungszimmer, als Anne den Raum betrat. Die beiden Männer sahen so aus, als hätten sie während der Nacht in der kleinen Zelle im Keller der Dienststelle kein Auge zugedrückt. Kastner stand noch einmal auf und rief über den Flur nach Nonnenmacher. Als der Chef der Inspektion sich auf einen der Stühle hatte fallen lassen, übernahm Anne das Wort: »Also, meine Herren. Ich denke mal, Sie hatten in dieser Nacht genügend Zeit, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit.« Anne musterte die beiden Waldarbeiter streng. Doch keiner hob den Blick. Die Polizistin stand auf, ging zu dem an der Wand stehenden halbhohen Schrank, goss zwei Tassen Kaffee ein und stellte sie ihnen hin. »Zucker und Milch«, sagte sie und knallte den Männern ein Schälchen mit Würfelzucker und eine Dose Kondensmilch vor die Pranken.
    Soder rührte sich als Erster, schüttete ein wenig Dosenmilch in seine Tasse und nippte daran. Dann sagte er tonlos: »Ja, wir sind die Wilderer.«
    Im Raum war es jetzt so still, dass man eine vom Tisch fallende Gänsefeder gehört hätte. Draußen hupte ein Auto. Ein Lastwagenmotor ratterte, und Reifen quietschten. Dann war es wieder still.
    »Und? Was noch?«, fragte Nonnenmacher ungeduldig.
    »Nix ›was noch‹!«, blaffte Soder zurück. »Wir haben das Recht dazu. Der Wald gehört uns allen.«
    »So ein Blödsinn!«,

Weitere Kostenlose Bücher