Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
seid.«
»Ich habe sonst keinen auf der Welt. So einfach ist das. Ich musste England verlassen, und Jan hat mich aufgelesen und ins Leben zurückgeholt.«
Adele sog die Luft scharf ein. »Der Arzt sollte eine Botschaft aus Amsterdam mitbringen oder sogar den Anführer selbst. Alle hier warten auf ihn. Und anstelle von Rothmann schleppt er einen Katholiken ins Land?«
»Rothmann?«, hakte Garbrand nach.
»Rothmann ist der Prediger aus Münster. Er hat die Glaubensgeschicke der Täufer dort gelenkt. Er ist wichtig für die Menschen hier.«
»Für die Menschen hier, nicht für Euch?«
Adele zuckte zurück, und Garbrand spürte, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Sie stand tatsächlich nicht so hinter den Täufern, wie es nach außen hin erschien. Ihre Worte von eben waren nicht einfach nur so dahingesagt. Garbrand vermutete, dass in den letzten Tagen in Münster etwas geschehen war, das die Frau so verletzt hatte, dass es sie bis heute prägte. Doch da sie keine Wahl hatte, fügte sie sich der Knechtschaft Krechtings, der noch immer sein Regiment führte, als habe es die Niederlage von Münster nicht gegeben. So war sie wenigstens nicht allein.
»Ihr seid aber Jan Valkensteyn nicht nur gefolgt, weil Ihr keine Wahl hattet. Es gibt Orte, die für Katholiken eine bessere Heimat bieten als Ostfriesland – auch ohne ihn«, lenkte Adele ab, als habe sie bemerkt, dass Garbrand ihr einen kurzen Augenblick zu tief in die Seele geblickt hatte.
»Wie meint Ihr das?«, fragte Garbrand. Er fühlte sich in die Enge gedrängt.
»Ihr seid ihm mehr als freundschaftlich verbunden«, lallte Adele und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Mir ist nichts Menschliches fremd, werter Mönch. Gar nichts.«
Garbrand zog es vor zu schweigen. Es war gefährlich genug, dass er sich mit dem falschen Glauben unter den Täufern befand. Da wollte er das angefachte Feuer nicht weiter schüren.
Der Krug Wein neigte sich dem Ende zu. Adele goss Garbrand den letzten Schluck in den Becher, den er anschließend in einem Zug leerte. Die Welt erschien ihm nun erheblich leichter, der Alkohol zeigte Wirkung.
»Wir sind zwei Stücke Holz auf dem unsteten Meer, Werteste. Jeder mit seinen Geheimnissen, die wir nicht preisgeben werden. Weder der Welt noch uns gegenseitig, weil es besser ist, wenn wir uns schützen.«
Adele wiegte den Kopf. »Viele Dinge, Mönch, bleiben in der Tat besser ungesagt und für immer in der Seele verschlossen. Wem nützt es, alte Wunden aufzureißen und in bestehenden zu bohren? Das Leben wirft uns ohnehin an den Strand, den die Strömung vorgibt, oder zerrt uns ins Meer zurück, wenn es ihm beliebt.«
»Wie wahr, Teuerste.« Garbrand hob den leeren Becher, was Adele dazu veranlasste, einen weiteren Krug Wein zu holen, den sie ebenso ruhig und besonnen leerten, obwohl ihre Sinne bereits mehr als benebelt waren.
Garbrand war froh über die schweren Lider und die immer langsamer werdende Zunge, die bald jedes Gespräch im Keim erstickte. So lief er nicht Gefahr, sich ganz zu verraten. Adele wusste ohnehin schon genug. Er nahm die bleierne Müdigkeit, die bald von ihm Besitz ergriff, dankbar an, und so glitten beide am helllichten Tag in einen wattierenden Schlaf über.
Kapitel 16
Hiske wurde in den Kerker gestoßen, ihre Augen brauchten lange, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Als sie schließlich die ersten Umrisse ihrer Umgebung erkennen konnte, kniff sie ihre Lider gleich wieder zu. Die Erinnerungen an die Zeit im Kerker in der Burg Jever waren sehr präsent. Doch nach einer Weile hörte sie ein leichtes Wimmern, und sie realisierte, dass sie nicht allein in der Zelle war. Hiske ertastete die Kette, an die man sie mit einer Schelle um den Knöchel gefesselt hatte. Sie war länger als erhofft, und so gelang es ihr, sich dem Schluchzen zu nähern. Sie spürte Haut, und dann erkannte sie die Stimme des Wortsammlers.
»Ich bin es, Hiske«, flüsterte sie, und das Weinen hörte abrupt auf.
»Le-bens-pflü-cker-in«, hörte sie.
»Wie nennst du mich?« Hiske durchfuhr ein warmes Gefühl. Der Wortsammler hatte tatsächlich einen eigenen Namen für sie erfunden. Gebildet aus den wenigen Worten, die sie ihm in der kurzen Zeit ihres Zusammenseins beigebracht hatte. Er war nicht dumm, das allein zeigte, was alles verkümmert in ihm schlummerte.
Der Junge griff nach ihr, doch mehr als die Handflächen konnten sich nicht berühren. Aber schon das beruhigte ihn etwas. Haut an Haut, Stimme bei Stimme, das gab
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