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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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Vorstellung, dass jemand einen Menschen nur deshalb umbringt, damit kein Motiv zu erkennen ist.« Sie sah auf den Schlafenden, dessen Brustkorb sich ruhig hob und senkte. »Ich weiß nicht, bin mir auch nicht sicher, aber ich glaube, es hat mit den Täufern zu tun. Es könnte eine alte Geschichte aus Münster sein.«
    Jan legte die Hand auf ihren Arm. »Ich hoffe, du hast unrecht, Hiske, denn dann sind wir vielleicht noch nicht am Ende.«
    Bevor die Hebamme ihm antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen, und die Wachen standen im Raum und verteilten sich ringsum. »Hiske Aalken! Ihr seid der Anstiftung zum Mord und der Totzauberei angeklagt.«
    Ehe Hiske sich versehen konnte, hatten die Männer sie gepackt. Aus dem Augenwinkel erkannte sie Jans entsetztes Gesicht, bevor sie aus dem Raum geschleift wurde. Das Einzige, was sie denken konnte, war dieses hämmernde: »Nicht schon wieder. Bitte nicht schon wieder!«
    Adele Stausand hatte aus der Vorratskammer tatsächlich einen Krug Wein aus dem Bestand ihres verblichenen Mannes aufgetrieben. Er hatte ihr zwei kleine Fässer hinterlassen, die sie allein aber nie angerührt hatte. Es schadete nichts, wenn sie nun mit dem Mönch davon trank. Sie schenkte sich etwas von dem roten Tropfen in den Becher. »Ihr seid ein Mönch, stimmt’s? Was tut Ihr in Ostfriesland?«
    Garbrand nahm ebenfalls erst einen Schluck Wein, überlegte, ob er sich der Frau öffnen sollte. Sie machte einen vertrauenswürdigen Eindruck, doch so gut seine Menschenkenntnis war: Auch er konnte keinem ganz in die Seele blicken. Adele war mit Sicherheit tief verletzt worden, das sah er sofort, wenn er ihr in die Augen sah. Und doch strahlten sie eine Wärme aus, der er sich nicht entziehen konnte.
    »Ich kenne Euch, Euer Gebaren, Euer Wesen. Immerhin habt Ihr uns in Münster auszurotten versucht.« Sie sah Garbrand in die Augen. »Bis zu den Knöcheln bin ich durch das Blut meiner Glaubensbrüder gewatet. Wo war da Euer Gott? Eure Menschlichkeit?« Adeles sonst so weiche Stimme hatte mit jedem Wort an Härte zugenommen, das warme Glimmen in den Augen war vollständig verloschen.
    »Und wo war Eure Mitmenschlichkeit, als Ihr meine Glaubensbrüder aus den Klostern geworfen und die Armen und Kranken dem Siechtum überlassen habt?«
    »Wir sind keine Lutheraner, keine Anglikaner, keine Reformierten«, erklärte Adele. »Wir sind Täufer!« Trotz der Überheblichkeit, die in Adeles Worten mitschwang, hörte Garbrand Zweifel heraus.
    »Auch Ihr habt getötet im Namen des Herrn«, sagte Garbrand. »Immer wieder.«
    Adele schwieg und griff erneut zum Becher. Nach einer Weile sah sie Garbrand an. Ihr Blick war nun eigentümlich leer. »Ein Mönch und eine Täuferin sitzen in trauter Zweisamkeit bei einem Becher Wein und stellen fest, wie verschieden ihre Welten sind. Gleichzeitig bemerken sie ihre Gemeinsamkeiten. Die meisten bestehen aber darin, dass sie getötet und damit Gott verraten haben, weil sie gegen das wichtigste aller Gebote verstoßen haben. Und nicht nur einmal, Mönch. Wieder und wieder. Wo soll diese Welt hinführen? Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich an all das noch glauben darf und soll.«
    Garbrand betrachtete Adele. Eine gewisse Wut schwang in ihren Worten mit, doch er konnte nicht sagen, ob sie sich gegen ihn und seine Religion oder gegen die eigenen Weggefährten richtete.
    »Trinken wir auf eine Welt, die sich gegenseitig zugrunderichtet, Mönch. Eine Welt, in der nur der überlebt, der stärker als die anderen ist.«
    Garbrand erhob den Becher. »Eigentlich möchte ich darauf nicht trinken, aber es bleibt uns sonst nichts.«
    Adeles Hand zitterte so, dass die Oberfläche des Weins in dem Gefäß vibrierte.
    »Seid Ihr mit Eurem Mann aus Münster geflohen?«, fragte Garbrand.
    Adele schüttelte den Kopf. »Nein. Meinen Mann habe ich erst später getroffen. Er kam aus Holland, war ein guter Deichbauer. Er hat die Geschicke mit von Ascheburg hier gelenkt, bevor die Flut ihn geholt hat. Dank Cornelius konnte ich in der Kate bleiben. Eigentlich dürfen alleinstehende Frauen so etwas nicht. Aber Hebrich denkt manchmal anders als die anderen Herrschenden.«
    Garbrand sah sich um. Das Haus war klein und ziemlich armselig, doch Adele hielt es gut sauber, sodass eine gewisse Gemütlichkeit herrschte.
    Sie hatte bereits den dritten Becher Wein getrunken, ihre Augen wirkten glasig. »Ihr habt mir noch immer nicht verraten, werter Mönch, warum Ihr diesem Arzt in den letzten Winkel dieser Welt gefolgt

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