Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
welche Richtung Jan Valkensteyns Botschaft ging, konnte er sich zusammenreimen. Eigentlich hatte er genug Tote in seinem Leben gesehen, die der verschiedensten Überzeugungen wegen ihr Leben lassen mussten. Eigentlich wollte er nur seine Ruhe. Und doch würde er Jan folgen, solange es irgendwie ging.
Rothmann war mit seiner Entscheidung nicht glücklich, war unsicher, ob er nicht doch einen Fehler begangen hatte. Er fühlte sich alt, gebrechlich, kaum jemand glaubte ihn noch am Leben. Ihm waren Gerüchte zu Ohren gekommen. Es gab Menschen, die wussten, auf welchem Weg er dem Massaker in Münster entronnen war. Doch es war ihm gelungen, seine Spur zu verwischen. Nur Eingeweihte wie Krechting, von Ascheburg und Schemering konnten ihn finden, nur wenige waren auserwählt, ihn ein Stück weit auf seinem Weg zu begleiten. Seine Beschützer überlebten immer nur eine Station seiner Reise, und auch der junge Arzt würde eine Rückkehr nach Amsterdam nicht überstehen. Zu groß war die Gefahr, dass er ihn verraten konnte. Sollte er die Entscheidung treffen, seinen Fuß wieder auf den Boden außerhalb der Herrlichkeit Gödens zu setzen, würde er bei Flut von Bord gehen oder in einer schmalen Gasse an Land den Tod finden. Rothmann hinterfragte nie, wie seine Mitwisser diese Erde verlassen hatten, er hätte es nicht ertragen. Doch sie starben für die Sache, dafür mussten Opfer gebracht werden. Jan van Leyden war auch nicht zimperlich gewesen, und in seinem Sinne wollte er agieren. Viele der Anhänger begehrten den Märtyrertod und rissen sich darum, ihn, Rothmann, eine Weile zu beschützen.
Er würde das Versteckspiel nicht mehr lange durchhalten, musste nun sehen, wie er sich bei Kräften hielt, damit er schließlich doch in Ostfriesland bei seinen einzigen Freunden sterben durfte.
Magda Dudernixen hatte ihr Lager seit Tagen nicht verlassen. Sie war viel zu müde, zu schwach, sie konnte das Leben im Augenblick nicht ertragen. Cornelius von Ascheburg gab es in dieser Welt also nicht mehr. Ein seltsames, ein merkwürdiges Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Sie schwankte beständig zwischen grausamer Trauer und großer Erleichterung. Auf jeden Fall war sie derart durcheinander, dass sie sich im Augenblick nicht in der Lage sah, am normalen Alltagsleben teilzunehmen. Also täuschte sie ein Unwohlsein vor, das ihr jeder abnahm, denn Magda war sonst nicht kleinzukriegen. Sie war eine Frau, die zupacken konnte. Etwas rundlich, aber wohl anzusehen. Sie redete ein bisschen zu viel, vor allem über ihre Mitmenschen, dennoch genoss sie im Lager große Akzeptanz. Denn war jemand in Schwierigkeiten, war es nicht selten Magda Dudernixen, die sich der Sache annahm und sie meist auch lösen konnte. Nun war sie, die starke, unfehlbare Magda, gestrauchelt. Hatte sich an einem Mann festgehalten, der wirkte wie der Stamm einer Eiche, sich ihr gegenüber aber verhalten hatte wie ein dünner Ast, der schon bei leichtem Windhauch abknickte. Cornelius von Ascheburg.
So lag sie seit Tagen in ihrer Bettstatt im Wagen, mit mehreren Decken und Fellen zugedeckt, denn sie war von einer derart großen inneren Kälte ergriffen, dass sie glaubte, von innen her zu erfrieren. Immer wieder durchlief sie ein Zittern, und jedes Mal glaubte sie, ein Stück mehr von sich zu verlieren. Der letzte Anblick des Mannes, der ihr die schönsten, aber auch schrecklichsten Stunden ihres Lebens geschenkt hatte, machte ihr Angst. Sie wusste nicht, ob es ein Fluch oder Segen war, dass er abgeschlachtet dort gelegen hatte.
Es gab keinen Menschen, den sie gleichzeitig mehr geliebt und gehasst hatte als ihn. Nach dem sie sich verzehrt und dem sie trotzdem liebend gern den Dolch in den Leib gestoßen hätte. Auch jetzt, wo sein Herz nicht mehr schlug, konnte sie ihm nicht vergeben. Und sich selbst erst recht nicht.
Sie roch ihn noch überall an sich, fühlte seine fleischigen Hände an ihrem Körper, spürte seine Nässe aus sich heraustropfen. Sie schämte sich für die Gefühle, die sie dabei gehabt hatte. Diese Mischung aus Abscheu und Gier, die sie keine Nacht mehr schlafen ließ. Sie wehrte sich gegen die Sehnsucht, die sie bei jedem Gedanken an den Mann anfiel. Gedanken, die sie nicht zulassen durfte. Und doch war da dieses unstillbare Verlangen, das sie beherrschte und das sich nach jeder Erfüllung in Ekel gegenüber dem Mann und sich selbst verwandelte. Magda war nicht mehr sie selbst gewesen, nachdem sie sich von Ascheburg einmal hingegeben hatte, obwohl
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