Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
verpönt, und doch hatte sich ihr Mann nicht daran gehalten, weil seine Triebe zu stark gewesen waren. Sie war damit nur schwer klargekommen, hatte aber von frühester Kindheit an gelernt, dem Mann zu gehorchen und ihm eine treu sorgende Ehefrau zu sein, sodass sie nicht dagegen aufbegehrt hatte. Zumal sie Cornelius auch achtete. Er war, neben Krechting, für die meisten hier der Erretter gewesen, der Mann, dem man vertrauen konnte. Der, der die Geschicke der Herrlichkeit mit großer Umsicht lenkte und auch zu den Arbeitern gerecht gewesen war. Das hatte sie immer wieder gehört.
Doch nun sah ihr Leben anders aus. Sie war in die Kleidung einer Zofe gesteckt worden und diente der Häuptlingswitwe. Die war allerdings eine umgängliche und keine launische Herrin, außerdem hatte Tyde eine eigene Kammer und wirklich gutes Essen, wo Hebrich das auch immer auftreiben ließ. Auch Krechting schien es besser zu haben als die anderen hier. Seinem Bauch nach darbte er nicht und musste sich nicht mit gestreckter Suppe oder Dünnbier zufriedengeben.
Tyde warf einen Blick auf den Burghof. Sie würde heute nicht an der Zusammenkunft teilnehmen, wollte mit alldem nichts mehr zu tun haben. Sie hatte nur noch eine Aufgabe im Leben, und die bestand darin, dieses kleine Wesen, das sie unter dem Herzen trug, gesund auf die Welt zu bringen, es zu beschützen gegen alle Einflüsse, die es das Leben kosten konnten. Das Treiben der Täufer in den Katakomben aber war, egal, welchen Glauben sie nach außen auf der Stirn trugen, gefährlich. Noch war es weder den Mennoniten noch den Münsteraner Täufern verboten, ihren Glauben zu leben, doch Tyde hatte in Gesprächen zwischen ihrem Mann und Krechting Gerüchte gehört, dass der Wind aus Emden bald schärfer wehen würde, dass der Kaiser dem Ganzen Einhalt gebieten wolle. Sie aber würde nichts tun, was das Leben ihres Kindes gefährdete. Tyde musste es schützen, koste es, was es wolle. Sie wollte keine heimliche Täuferin mehr sein. Sie gehörte dem reformierten Glauben an, genau wie Hebrich, und sie besuchte die Gottesdienste in Dykhusen, die sie viel mehr erfüllten als das Geschwätz bei den Zusammenkünften der Täufer. Warum sollte sie eine Glaubensgemeinschaft unterstützen, die das Leben ihres Mannes auf dem Gewissen hatte? Eine Gemeinschaft, die sich nicht um einen Jungen sorgte, der durch die Wälder stromerte und wie sie eine verlorene Seele war. Ein Knabe, den sie versorgt hatte, es aber geheim halten musste. Tyde fragte sich, was nun aus ihm werden würde. Er war ganz allein. Er, ihr großes Geheimnis.
Würde ihr Mann noch leben, hätte sie für den Rest ihres Lebens ausgesorgt, hätte sich um den Jungen kümmern können, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Nun war sie die Zofe der Häuptlingswitwe. Was für ein Abstieg. In ihr begann sich etwas zu regen, und das fühlte sich nicht gut an. Es war eine unbestimmte Wut. Zunächst richtete sie sich gegen die Situation, dann aber forcierte sie sich immer stärker auf einen bestimmten Mann.
Seine Stimme wurde lauter und lauter, dann sah sie ihn tatsächlich in seiner vollen Gestalt auf dem Burghof stehen, umringt von Mennoniten und heimlichen Täufern aus Münster. Alle hingen gefesselt an seinen Lippen. Er geleitete seine Anhänger heute nicht in die Katakomben, er ließ alle auf dem Hof um sich versammeln. Was er dann verkündete, war für Tyde so unglaublich, dass sie sich am Fenstersims festhalten musste. Krechting verkündete, dass er von dem heutigen Tag an als Kirchen- und Armenvorsteher der reformierten Kirche tätig sein würde und sich selbstverständlich weiter auch für die Leute im Lager verantwortlich fühlte. Seine Stimme wackelte kein bisschen, er stand wie ein Baum im Sturm und gab seinen Umschwung bekannt, als sei es das Normalste der Welt.
Die Leute senkten die Köpfe, Tyde konnte nicht ausmachen, ob sie das guthießen oder nicht. Vielleicht verstanden viele diese Aussage nicht bis in ihren Kern, denn eines war damit klar: Krechting rettete seine Haut, denn so war er zumindest von der Herrin geschützt und konnte auch auf den Beistand der Gräfin Anna hoffen, wenn der Kaiser dem wilden Glaubenstreiben in Ostfriesland ein Ende setzen wollte.
»Du hast meinen Mann auf dem Gewissen, Hinrich Krechting«, flüsterte Tyde. »Ich könnte dich umbringen, du Sohn einer räudigen Hündin!« Nun wusste sie, was für ein Gefühl sich in ihr breitgemacht hatte: Es war der blanke Hass.
Hiske erreichte den Burghof etwas
Weitere Kostenlose Bücher