Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Fenster geklopft. Was auch immer du hier willst … wir wollen dich hier nicht, geh dahin zurück, wo du hergekommen bist.« Sie machte eine kurze Pause. »Oder kannst du das nicht?«
Hiske spürte einen dicken Kloß im Hals. Die Worte der Badersfrau gefielen ihr nicht. Es lagen zu viel Doppelsinnigkeit und Anspielung darin.
»Mach, dass du verschwindest!«, hob Magda Dudernixen wieder an. »Du hast hier nichts verloren!« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Burgtor.
Hiske machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in die Dunkelheit. Über dem Moor verharrten wieder leichte Nebelschwaden, hin und wieder hörte es sich an, als seufzte der nasse Boden. Wo zum Teufel bin ich nur hingeraten, dachte Hiske.
Kapitel 8
Jan Valkensteyn hatte schlecht geschlafen. Sie hatten Emden am Vortag verlassen, die Winde standen gut, und sie kamen voran. Dennoch dauerte die Reise seinem Gefühl nach viel zu lange, denn wenn alle zwölf Stunden die Ebbe einsetzte, fielen sie trocken. Stundenlang verharrten sie dann auf dem Schlick, bis das Boot bei Flut wieder genug Wasser hatte. So verging eine nutzlose Stunde nach der anderen.
Auch jetzt lag das Wattenmeer in der Dämmerung vor ihm, zwang die Mannschaft zur Pause. Alle nutzten die Zeit, um zu schlafen, damit sie beizeiten wieder bei Kräften waren, doch Jan gelang es nicht.
Vorhin hatte es heftig geregnet, und sie waren allesamt bis auf die Haut durchnässt worden. Garbrands Husten hatte sich massiv verschlechtert, und er lag mit Fieber in einer Ecke des Schiffes. Jan war in Sorge um den Mönch. Er war blass und verschwitzt, antwortete nur schwach und war froh, wenn man ihn nicht ansprach. Jan hoffte, dass er diese beschwerliche Reise überleben würde, denn es war feucht, ungemütlich und viel zu kalt. Der herannahende Frühsommer hatte sich in der ostfriesischen Weite noch nicht durchgesetzt.
Jan hatte Garbrand in die hinterste Ecke des Schiffes verbannt, ihn mit Decken zugedeckt und die Ritzen in den Planken gegen den kalten Wind abgedichtet. Der alte Mönch war ihm in der kurzen Zeit ihres Zusammenseins sehr ans Herz gewachsen. Als er ihn völlig betrunken und verwahrlost in Amsterdam aufgelesen hatte, hatte er geglaubt, sich einen völligen Nichtsnutz ans Bein gebunden zu haben. Aber dann war ihm doch schnell klar geworden, was für ein feiner Mensch Garbrand war. Für nichts war er sich zu schade, und Jan war sich sicher, dass er für ihn durchs Feuer gehen würde. Einzig mit seiner Vorliebe für guten Wein und Bier war nicht immer einfach umzugehen.
Jan starrte in den Morgenhimmel, an dem sich ein leichtes Rosa abzeichnete und auf den anbrechenden Tag hinwies. Jan überlegte, wie lange die Reise noch dauern würde. Van Ee hatte ihm darüber keine Auskunft gegeben, weil auch er es nicht vorhersagen konnte. »Kommt auf den Wind an«, hatte er in seinen Bart gebrummt und weiter auf die Nordsee gestarrt.
Je näher sie aber ihrem Ziel kamen, desto mehr schien der Brief unter Jans Hemd zu brennen. Es war, als wolle er ihn warnen, dass er sein Leben riskierte. Die Dinge, die er in Emden gehört hatte, machten es nicht besser. Als Jan jetzt in den Himmel starrte, war er nicht mehr sicher, ob er auf der richtigen Seite war. Vielleicht sollte er sich besser auf seine Medizinstudien konzentrieren, als für etwas sein Leben zu riskieren, wovon er selbst nicht wusste, wie er wirklich dazu stand. Es gab gerade in der Medizin so viel, was er hinterfragen und erforschen musste. Die Viersäftelehre war falsch, Vesalius und die anderen hatten andere Ansätze, denen er nachgehen musste, die er beweisen und für sich und seine Arbeit anwenden wollte. Stattdessen floh er vor einem Leben, das er selbst zerstört hatte, und stürzte sich in einen Glaubenskampf, der eigentlich gar nicht seiner war. Aber es betäubte seine Schuld, lenkte von dem ab, was er getan hatte.
Er bohrte seinen Blick in den Horizont, der nun schon in hellen Farben erstrahlte. Wieder griff er nach der Botschaft und überlegte kurz, ob er sie einfach in den Nordseefluten versenken sollte, wenn das Wasser das Boot wieder umspülte. Er konnte weiterfahren nach Bremen, denn dorthin wollte der Kapitän, nachdem er die Herrlichkeit wieder verlassen hatte. Dort konnte er neu beginnen. Niemand kannte seine Vergangenheit, und er musste nicht für eine Sache kämpfen, die nicht die seine war. Doch dazu müsste er sich selbst verzeihen, und das war im Augenblick noch ein Ding der Unmöglichkeit.
Jans Herz zog sich zusammen.
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