Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Autorität an, aber sie gibt den Lutheranern und Reformierten eine Akzeptanz, die dem Kaiser nicht gefällt. Johannes a Lasco hat schließlich mit der katholischen Kirche gebrochen, und er ist vor drei Jahren als Superindendent in die oberste Kirchenleitung des Landes berufen worden. Er steht Zwingli nah und will die Aktivitäten der Papisten einschränken, das kann Karl V. nicht gutheißen.«
Jan nickte. Das war für ihn natürlich von Vorteil, denn die Reformierten würden den Täufern immer größeren Spielraum lassen, als es die katholische Kirche je tun würde. Noch gewährte Gräfin Anna ihnen hier Schutz und erlaubte ihnen, ihren Glauben auszuüben. »Was steht sonst in dem Erlass?«, fragte er weiter.
Der Mann schien gut informiert, woher auch immer er sein Wissen hatte. »Sie hat außerdem Verfügungen über den Bierausschank erstellt, das Armenwesen neu strukturiert, das Schulwesen … Alles. Sie hat ganze Arbeit geleistet.«
»Und die Täufer?« Jan wagte es jetzt, diese Frage zu stellen. In dem Zusammenhang erschien es ihm nun unverfänglich. »Die Mennoniten hatten doch bislang in Ostfriesland ein Aufenthaltsrecht. Sie werden mit ihrem Einfluss das wirtschaftliche und kulturelle Leben hier nachhaltig prägen. Was ist mit den Täufern?«
Der Mann kratzte sich am Kopf. »Johannes a Lasco möchte auch sie verbannen, aber Gräfin Anna geht vorsichtig vor. Wenn Ihr mich fragt: Sie sympathisiert mit ihnen, aber sie wird nicht den Fehler machen, eindeutig Position zu beziehen, weil sie das Erbe ihrer Kinder wahren möchte. Sie windet sich. Immerhin sagt sie: Wenn jemand, der nur wegen seines Bekenntnisses zum Evangelium vertrieben ist, um Aufnahme bittet, soll man ihm diese nicht verweigern, damit Stadt und Land sich an Einwohnern mehre. Deshalb werden die Mennoniten bleiben und auch weiterhin kommen dürfen. Vorerst.«
Jan atmete auf, hakte dann aber nach. »Warum vorerst? Woraus schließt Ihr das?«
Der Mann wiegte den Kopf. »Weil es nur eine Frage der Zeit ist. Kaiser Karl V. hat nicht gerade positiv auf die Gesetze reagiert. Er droht mit Krieg gegen die protestantischen Landesfürsten. Wir sind alle sehr unruhig.«
Krieg also, dachte Jan. Wieder Blutvergießen für den Glauben, obwohl über ihnen doch eigentlich der gleiche Gott wachte. Jan hätte sich gern weiter mit dem Mann unterhalten, das, was er eben gehört hatte, war mehr als brisant. Es würde Auswirkungen auf das Leben der Menschen auch in der Herrlichkeit haben, konnte ihre Ziele vielleicht zunichtemachen. Nun wusste er, warum die Ankunft des Mannes aus Amsterdam vielleicht so ausschlaggebend war.
Aber jetzt sagte ihm ein Blick auf den Schiffer, dass er sich sputen musste, denn Garbrand wartete noch in der Herberge auf ihn. Der hatte sich am Morgen elend gefühlt. In der Nacht hatte er zu husten begonnen, und das klang nicht gut. »Ich danke Euch für die Auskunft!« Jan nickte dem Mann nachdenklich zu.
»Eine gute Reise!«, sagte der Mann.
Der Arzt wandte sich wieder dem Schiffer zu und handelte einen Preis für die Mitnahme aus. Dann machte er sich auf, Garbrand zu holen. Es war nach dem Erlass für ihn als katholischen Mönch besser, sich nicht offen in den Straßen Emdens zu zeigen.
Garbrand saß schon auf den geschnürten Bündeln, war kalkweiß im Gesicht und hustete vor sich hin. Jan betrachtete seinen Freund, legte ihm die Hand auf die Schultern. »Am besten wäre, wenn wir hierblieben. Doch Emden ist im Augenblick kein Pflaster für uns. Vor allem nicht für dich.«
Garbrand sah den Arzt an, schwieg aber.
»Die Reise kann dein Tod sein«, begann Jan wieder. Er schien ernsthaft zu überlegen, ob sie die Fahrt aufschieben sollten.
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Wir fahren. Wenn Gott bescheidet, dass er mich zu sich ruft, dann ist es so und würde auch in dieser Stadt passieren.« Er stand auf, griff nach seinem Bündel und folgte dem Arzt mit schleppendem Schritt.
Tyde wusste, dass Krechting ihr Erscheinen erwartete, ja, verlangte. Sie war Cornelius‘ Witwe, hatte Verpflichtungen. Doch ihr fehlte der Glaube an das neue Bekenntnis, sie zweifelte nicht daran, dass ihr Gatte genau deswegen hatte sterben müssen. Sie alle mussten sich hier verstecken oder wie Krechting, Schemering und auch ihr eigener Mann einen anderen Glauben annehmen, damit sie überhaupt existieren konnten. Wie sollte so etwas funktionieren?
Cornelius hatte ihr von den vielen Frauen erzählt, die sie in Münster gehabt hatten. Hier war es wieder
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