Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
haben, dass Krechting nachfragte.
»Und?«
»Magda hat sie gesehen.«
»Euer Weib war also nicht mit unten? Warum nicht?« In Krechting begannen alle Alarmglocken zu läuten. Wenn Magda Dudernixen einfach dem Gottesdienst fernblieb, konnte er nicht ausschließen, dass sie abtrünnig wurde. Das war gefährlich. Denn für alle Täufer waren diese Begegnungen das Elixier, mit dem sie das Warten überbrückten und ihre Hoffnung stärkten.
»Es ging ihr nicht gut«, stammelte Dudernixen, der merkte, dass er sich selbst eine Falle gestellt und seine eigene Frau verraten hatte. Das Weib, das ihn mit von Ascheburg so schändlich hintergangen hatte.
»Euer Weib war also nicht dabei«, wiederholte Krechting und ließ den Bader einfach so stehen.
Die Leute hatten sich in der Nacht wieder auf dem Burghof versammelt. Die Frau, die so gut roch, war ihnen gefolgt. Sie hatte ihn aber nicht gesehen. Er war in die Wagenburg geschlichen und hatte sich etwas Brot und Dünnbier besorgt. Danach war ihm die Idee gekommen, die komischen Dinger mit den langen Stielen und den Eisenteilen am Ende einzusammeln und in die Graft zu werfen. Sie sollten diesen Wall nicht weiterbauen, der Wortsammler hatte kein gutes Gefühl dabei. Er wollte nicht, dass sie das Meer ärgerten, denn wenn es erst böse mit den Menschen war, gäbe es keine Fische und keine Muscheln mehr, weil es sie mit hinausnehmen würde bis an den Strich, der das Meer vom Himmel trennte. Der Wortsammler hatte die Fischer beobachtet, die den Bau dieses Walles mit Argwohn betrachteten. Sie waren am Fuß entlanggelaufen, hatten später die Steinanlagen genau betrachtet und danach ihre Schiffe dort festgemacht. Warum wollten die Menschen diesen Wall? Der Wortsammler war böse deswegen und hatte dann wirklich diese Eisenstiele eingesammelt. Nun konnten sie nicht weitermachen.
Er hatte gesehen, dass die Frau vom Weib des großnasigen Mannes beschimpft wurde. Das Weib hatte auch schon nach ihm, dem Wortsammler, geschlagen. Sie war ein böses Weib. Der Wortsammler hatte damals sofort nach dem Messer in seinem Strumpf gegriffen. Hätte sie nicht aufgehört, dann hätte er es ihr gezeigt. Alle waren böse zu ihm, sogar die, die er kannte. Er mochte nur die Frau, die so gut roch.
Hiske hatte sich nach ihrem nächtlichen Ausflug in ihre Kammer zurückgezogen. Nun wurde sie von einem einfallenden Sonnenstrahl wachgekitzelt. Sie war nach dem Zusammentreffen mit Magda Dudernixen in Windeseile zurück nach Hause gelaufen, hatte weder nach rechts noch nach links geschaut. Der unverhohlene Hass der Frau hatte sie tief getroffen. Wenn solche Blicke sie trafen, war nie etwas Gutes daraus erwachsen.
Mittlerweile war Hiske aber nicht mehr bereit, alles einfach hinzunehmen und ständig wie ein Opferlamm zum Altar geführt zu werden, damit sich alle Welt an ihren Qualen ergötzen konnte. Irgendwann, als sie in der Burg Jever auf dem kahlen Zellenboden angekettet war und sich eine Eisenschelle tief in ihr Fleisch gefressen hatte, hatte Hiske geschworen, von jetzt an nie mehr am Boden liegen zu wollen, sondern für sich zu kämpfen. In ihr war etwas zerbrochen, ein Stück Glauben an die Welt zerstört. Sie wusste nicht, ob sie je den Mut finden würde, sich wieder als einen Teil von ihr zu sehen. Jeden Menschen betrachtete sie mit einem Argwohn, der ihr schon selbst fast unheimlich war. Nie wagte sie es, jemandem lange in die Augen zu sehen, zu groß war die Furcht, darin wieder Misstrauen und Lüge zu entdecken, zu groß die Angst, dass man sie anschließend bezichtigte, etwas Böses im Schilde zu führen.
Wie schnell ein Mensch den Stab über einen anderen brechen konnte, hatte sie zu schmerzhaft am eigenen Leib erfahren müssen. »Eigentlich haben sie mich erst in den sechs Tagen im Kerker zu der bösen Frau, zu der Hexe gemacht«, sagte Hiske zu sich. Qual und Hass veränderten einen Menschen stärker, als sie vorher zu glauben gewagt hatte. Ihr Herz schien zu Stein erstarrt, ihre Gefühle im tiefsten Moor vergraben.
Sie hatte aber gelernt, diese tief in ihr wohnende Furcht zu verbergen, sodass sie nach außen Ruhe, Sicherheit und Wärme ausstrahlte. Niemand sollte wissen, wie es tief in ihr aussah. Sie holte die Kinder auf die Welt und konnte sich doch an der Schönheit und dem Wunder nicht mehr erfreuen. Hiske erlaubte sich nur selten gute Gedanken, zu groß war die Angst, dass sie für ihre Lebensfreude erneut gestraft werden konnte. Hiske nahm das Leben, wie es kam, plante nicht mehr weit
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