Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Gestank von verbranntem Menschenfleisch zog durch die Städte. Jedem Einzelnen gedachten die Täufer in ihren Gemeinden, denn jeder Einzelne war einer zu viel. Sie würden es eines Tages allen zeigen, ihr Reich errichten und nach ihrem Glauben führen und verwalten. Münster war nur die Vorstufe gewesen. Egal, welchen Glauben er sich nach außen hin auf das Wams geschrieben hatte: Er war und blieb in seiner Seele ein Täufer aus Münster, und keine weltliche Macht dieser Erde würde ihn daran hindern.
Krechting blickte in die entschwindende Nacht, die mehr und mehr dem Morgen wich. Cornelius von Ascheburg hatten sie beigesetzt, doch sie waren dem Täter keinen Schritt nähergekommen. Krechting vermisste seinen alten Freund und Weggefährten. Sie hatte eine tiefe und enge Freundschaft verbunden. Cornelius hatte immer ein offenes Ohr gehabt, und mit keinem hatte er über den Glauben so tiefgründig und ehrlich diskutieren können wie mit ihm. Auch Wolter als sein Neffe war ihm nie so nahegekommen. Der war ehrgeizig, wollte vorankommen, doch Cornelius und er hatten Visionen gehabt. Sie hatten zusammen die neue Stadt am Siel geplant, sogar schon Straßen und Gassen entworfen, den Hafen nach holländischem Vorbild gezeichnet. Cornelius war eigens nach Holland gereist, um sich die Häfen anzusehen. Ihre Köpfe hatten geraucht, doch schließlich gab es diesen neuen Flecken, zumindest auf dem Papier. Die Neustadt oder wie Hebrich es lieber wollte: Neustadt Gödens. Nun stand er allein vor der Aufgabe, sie zu bauen, das Ganze zu organisieren. Wolter war mit seinen Aufgaben als Landrichter genug beschäftigt, und er hatte auch nur wenig Interesse, sich dort einzubringen. Hinrich hatte lange überlegt, wen er nun nach von Ascheburgs Tod einbinden sollte, doch es gab einfach niemanden mit der Weitsicht und Zuverlässigkeit seines alten Freundes. Er hieb mit der Faust gegen die andere. Wer hatte es gewagt, Cornelius zu töten?
Hinrich verstieg sich immer mehr zu der Annahme, dass es keiner aus den eigenen Reihen gewesen sein konnte. Alle kamen sie zu den heimlichen Gottesdiensten, ein Teil aber auch zu denen in der reformierten Kirche, die erlaubt und sogar gewünscht waren. Keiner hatte heute aufbegehrt, und alle Augen waren wie immer ehrfurchtsvoll auf ihn gerichtet gewesen. Es war richtig, was er tat, er sollte nicht zweifeln. Und doch lief es nicht so, wie es sollte. Sein bester Freund war ermordet worden. Was nur lief ohne sein Wissen aus dem Ruder?
Krechting vernahm Schritte, und als er sich umdrehte, betrat Dudernixen seinen Garten.
»Die Hebamme war in der Nacht im Burghof.« Der Bader blies Krechting seinen fauligen Atem in den Nacken. Der wich zurück, er wollte in seinen Gedanken nicht gestört werden, er wollte schon gar nicht mit Dudernixen am frühen Morgen über diese Dinge reden. Er wollte einfach seine Ruhe und endlich auch trauern dürfen.
»Sie ist uns gefolgt, hat gesehen, wo wir hingegangen sind. Sie ist zu neugierig.«
Krechting zuckte zusammen. Es wäre besser, die Hebamme würde so etwas nicht tun, sie war keine von ihnen, er hatte ihr lediglich Schutz gewährt. Sie sollte nicht zu neugierig sein, das wäre ihr Verderben. Ein Kopf war rasch von den Schultern gefegt, ein Dolch schnell zwischen die Rippen gestoßen. Cornelius‘ Tod war das beste Beispiel.
»Sie ist in der Nacht, als Cornelius ermordet worden ist, hier aufgetaucht«, stichelte Dudernixen weiter. »Und jetzt schnüffelt die hier herum. Sagtet Ihr nicht, sie kommt aus Jever?«
Schon die Erwähnung Jevers ließ alle Menschen in der Wagenburg hellhörig werden, denn Täufer war dort das schlimmste Schimpfwort, das man sich vorstellen konnte. In Jever gab es keinen mehr von ihnen, selbst die gemäßigteren Mennoniten waren dort nicht geduldet.
»Sie kommt aus Jever«, hob Krechting an, »als Flüchtling. Wie wir alle hier.« Er wählte seine Worte bewusst, denn wenn er Dudernixen jetzt die Wahrheit sagte, wäre das Wasser auf seine Mühlen. Auch wenn er recht hatte, dass Hiske Aalken unmittelbar nach dem Mord in der Herrlichkeit aufgekreuzt war, so wollte er dem Verdacht doch erst gezielt selbst nachgehen, bevor er verriet, warum sie geflohen war. »Sagt mal«, fragte er den Bader, »woher wisst Ihr denn, dass sie während des Gottesdienstes auf der Burg war?« Krechting hatte Dudernixen währenddessen die ganze Zeit im Blick gehabt. Der Bader konnte Hiske also nicht gesehen haben. Dudernixen wand sich. Er schien nicht damit gerechnet zu
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