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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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voraus, denn sie hatte gelernt, wie schnell es kippen konnte und auf welch wackligen Beinen die Hoffnung stand. Einzig der Junge, der zu groß für sein Alter und gleichzeitig so verloren in dieser Welt war, hatte ihr Herz gerührt. Für einen Moment war es weich geworden, als sie ihm in die Augen gesehen hatte, die ebenso allein und leer dreinblickten wie ihre.
    Magdas Worte, ihr ganzes Auftreten in der letzten Nacht aber hatten Hiske Angst gemacht, sie überstürzt fliehen lassen und der Frau so Oberwasser gegeben. Erst als sie den Burghof weit hinter sich gelassen hatte, war Hiske klar geworden, dass ihr rasches Verschwinden Magda Dudernixen in ihrer Ansicht bestärkt haben musste, Macht über die Hebamme zu haben. In der ganzen Wagenburg würde sie dieses Ereignis für sich ausschlachten und Hiske von vorneherein die Möglichkeit nehmen, hier Anerkennung zu finden. Ihr Platz würde vermutlich weiter außerhalb der Menschen sein, mit denen sie nun lebte. Mit etwas Glück würden sie sie höchstens als Hebamme akzeptieren, und sei es nur, weil Krechting es angeordnet hatte.
    Es war den Menschen egal, ob sie Marias Kind gesund auf die Welt geholt, egal, ob sie die Mutter vor dem sicheren Tod gerettet hatte. All das zählte nicht, wenn Magda ihre Geschichten verbreitete. Hiske machte sich nichts vor.
    Als sie vor vielen Jahren ihre Lehre zur Hebamme bei der Wangerin in Jever begonnen hatte, war sie in dem festen Glauben gewesen, von jetzt an das Glück auf ihrer Seite zu haben, war das Leben doch zuvor nicht zimperlich mit ihr umgegangen. Hiske kannte die dunklen Seiten des Daseins besser als die hellen und hatte diese Tatsache für sich schon akzeptiert. Die Wangerin jedoch brachte ihr rasch bei, wie warm die Sonne am Tag und wie schön der Mond in der Nacht sein konnte. Wie wichtig es war, den ewigen Kreislauf des Lebens und der Natur zu verinnerlichen. Trotzdem war es eine harte Schule, durch die sie die alte Kräuterfrau schickte. Sie hatte Hiske die Kunst der Kindswendung im Mutterleib gelehrt, sie in die Geheimnisse der Kräuter und Düfte eingeweiht.
    »Ich werde so lange leben, bis du alles weißt, was man wissen muss, glaube bloß nicht, ich lasse mich eher vom Herrgott abrufen!« Die Wangerin war schon zu der Zeit ihres Kennenlernens alt und krank gewesen, doch sie hatte Wort gehalten und erst dann die Augen für immer geschlossen, als sie Hiske all ihr Wissen vermacht hatte. In diesem Glauben war sie friedlich in ihren Armen eingeschlafen. Nie hätte sich die Wangerin träumen lassen, dass man Hiske der Zauberei anklagen würde oder sie gar aus Jever fliehen müsste. Die Wangerin war ein Mensch, der immer nur an das Gute geglaubt hatte, und seltsamerweise war ihr auch nie etwas Schlimmes widerfahren. Es schien, als wäre jede Gefahr vor ihr abgebogen, weil man ihr einfach nichts antun konnte, was die innere Sonne der Wangerin zum Erlöschen hätte bringen können. Hiske kam es so vor, als habe selbst das Schicksal großen Respekt vor der betagten Hebamme gehabt.
    Im Laufe ihrer Arbeit als Geburtshelferin aber hatte Hiske immer häufiger feststellen müssen, dass die Worte der alten Frau nicht in Stein gemeißelt waren, dass nicht alles stimmte, was sie ihr beigebracht hatte. Oft hatte Hiske in ihrer Kammer gesessen und darüber nachgedacht, wie wichtig es wäre, eine Frau wirklich einmal von innen betrachten zu können, um mehr darüber zu wissen, was in dem Körper vorging, wenn sich ein Kind auf den Weg machte. Doch solche Gedanken galten als Ketzertum, natürlich durfte man Tote nicht aufschneiden. Und als Hebamme schon gar nicht.
    Mit Hiske war das Leben wirklich nicht sorgsam umgegangen. Sie musste sich ihren Platz erkämpfen, wo auch immer sie war. Schon früh hatte sie ihre Mutter verloren, ihr Vater war im Kampf gefallen. Und ihre kleine neugeborene Schwester war der Mutter schon bald als Engel gefolgt. Wenn die Wangerin nicht gewesen wäre, Hiske hätte nicht gewusst, wie sie in der Stadt hätte überleben sollen. Für sie wäre nur das Haus in der Petersilienstraße geblieben. Freier gab es wegen des Hafens genug, und sie hätte zu essen und ein Dach über dem Kopf gehabt. Doch Hiske lernte schnell, sodass die Wangerin sie schon bald nicht mehr missen wollte und ihr gern eine Kammer und das tägliche Brot gab.
    Die Hebamme spürte einen Kloß im Hals, hoffte auf die erlösenden Tränen, die Erleichterung verschafft hätten, doch nichts geschah. Sie war ausgetrocknet wie ein See, nachdem es zu

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