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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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für ein Einstand, wenn er gleich mit einer solchen Lüge dort ankam.
    Jan steckte den Brief zurück. Sie befanden sich unterhalb der ostfriesischen Inseln, waren schon an den ersten beiden vorbeigeglitten.
    »Du machst dir Sorgen über die Polizeiordnung von Gräfin Anna, stimmt’s?«, hustete Garbrand.
    »Wann hast du denn das mitbekommen?« Jan sah seinen Freund erstaunt an.
    »Ganz Emden spricht davon. Und auf dem Boot schnappe ich auch einiges auf, wenn ich den ganzen Tag herumliege.«
    »Ja, es wird schwierig. Wenn es wirklich zum Krieg kommt. Mit Kaiser Karl V. ist nicht zu spaßen. Ich bin ihm in Pisa begegnet. Er ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Gut aussehend, stark, und er weiß, was er will. Und das ist in keinem Fall der Protestantismus, geschweige denn das Täufertum.« Er blickte zu dem Mönch. »Dass ich mich ihnen verbunden fühle, weißt du sicher längst.«
    Garbrand nickte, setzte sich ein Stück auf, winkte Jan zu sich heran. »Ich kann nicht so laut sprechen. Aber wer sagt denn, dass dieser Krieg auf diesem Grund und Boden ausgetragen wird? Ich nehme an, er wird dort geführt, wo es für den Kaiser wichtig ist, wo er sich mit den Landesfürsten schon jetzt streitet. Ich denke an Süddeutschland, an Thüringen und Sachsen. Ostfriesland ist doch kein Flecken für einen Krieg des Kaisers. Du selbst sagst, es ist abgeschnitten vom Reich, warum sollte er dorthin seine Truppen senden? Da sind andere Landstriche interessanter für ihn. Und«, Garbrand machte eine Pause, »Gräfin Anna verhält sich klug. Sie fährt gut mit ihrer Politik und steht so nicht im Mittelpunkt einer möglichen Konfrontation.« Nach der langen Rede sank der Mönch erschöpft auf sein Lager zurück.
    »Woher zum Teufel hast du all dieses Wissen?«, fragte Jan, doch Garbrand war zu müde, um zu antworten. Jan stellte für sich nur fest, dass er seinen Freund auch in dieser Hinsicht arg unterschätzt hatte. Der Mönch mochte zu viel essen und Wein und Bier zu häufig zugeneigt zu sein, doch er hatte seinen Verstand weiß Gott noch behalten. Was er gesagt hatte, war keine oberflächliche Beruhigung oder einfach nur so dahingesagt; es entsprach der Wahrheit, und er hatte es auf den Punkt gebracht.
    Die Konfliktparteien des Kaisers waren das Heilige Römische Reich, Ungarn, das Herzogtum Sachsen und Spanien, die in immer mehr Reichsstädten den Protestantismus zuließen. Ostfriesland war ein so kleiner Teil des Reiches, so unwegbar, nie würde der Kaiser seine Truppen in diese abgelegene Region schicken.
    Jan steckte den Brief zurück, er verbrannte seine Haut nun nicht mehr. Alles würde gut werden, in der Herrlichkeit waren sie in Sicherheit!

Kapitel 9
    Hiske erwachte, weil es so still in der Kammer war. Sie setzte sich auf, lauschte in die Dunkelheit und merkte, dass sie allein im Raum war. Ihr Zögling war verschwunden. Der Wortsammler hatte sich wieder auf seine Wanderung gemacht. Er war kein Mensch, den man lange in einem Zimmer halten konnte, er brauchte frische Luft um die Nase. Dennoch war Hiske ein bisschen enttäuscht, sie hatte gehofft, dem Jungen so etwas wie Nestwärme vermitteln zu können. Andererseits wäre es viel schwieriger, aus der Herrlichkeit zu verschwinden, wenn sie eine enge Beziehung zu ihm aufbauen würde. Aber solange sie noch gar nicht wusste, ob und wohin sie gehen sollte, wäre sie zumindest nicht mehr so allein. »Du denkst nur an dich«, schimpfte sie mit sich. »Eigentlich willst du weg, und eigentlich soll der Junge bei dir sein. Mitnehmen kannst du ein solches Kind wohl kaum.«
    Hiske dachte daran, wie viel Wärme sie empfunden hatte, als die Wangerin sie bei sich aufgenommen hatte, wie wichtig ihr diese Beziehung geworden war. Und wie gern sie etwas von der Geborgenheit an den Jungen weitergeben würde. Ohne die Wangerin wäre sie gestrandet und verreckt. So aber zog ihr Duft von Kräutern und Essenzen bis heute durch Hiskes Nase. Was also verband sie mit der verloren gegangenen Seele des Jungen? Es war die Sehnsucht, für einen Menschen auf der Welt so wichtig zu sein, wie die Wangerin es für sie gewesen war. Diese Liebe und Nähe zu spüren, die ohne Eigennutz einfach da war.
    Doch der Knabe hatte schon nach kurzer Zeit das Weite gesucht. Er liebte die Freiheit mehr als sie. Gestern Abend hatte sie für einen kurzen Moment geglaubt, diese unvoreingenommene Zuneigung in seinen Augen zu erkennen, doch das entpuppte sich nun als Irrtum. Hiske wunderte sich selbst über den Schmerz, den

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