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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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sicher. Es war, als klebe eine zähe Schicht über dem Lager, die die Menschen lähmte. Hiske fand es unheimlich, wie sie sich gegenseitig ansahen, so, als überlegten sie bei jedem Blickkontakt, ob ihr Gegenüber von Ascheburg das Messer in den Bauch gerammt und ihn dann so bestialisch zugerichtet hatte.
    Mit Erschrecken hatte Hiske die Blicke bemerkt, mit denen man sie bedachte. Sie fürchtete den Tag, an dem einer von ihnen ihre Vergangenheit entdeckte. Von dem Augenblick an wäre sie verloren. Sie war gekommen, als von Ascheburg starb. Wenn sie ihr vielleicht auch den Mord nicht in die Schuhe schieben konnten, so doch sicher die Schuld an dem Übel, das mit ihrer Ankunft über das Lager gekommen war. Wo auch immer das Leben sie hintrieb: Der Makel der Zauberin würde an ihr haften wie Pech. Glücklicherweise war Adele bei ihr gewesen, als Krechting angegriffen worden war. Hiske zuckte zusammen. Krechting war erst am frühen Morgen überfallen worden. Und da hatten Adele und sie sich bereits getrennt.
    Anneke starrte in den Nachthimmel, der sich heute von ungewöhnlicher Klarheit zeigte. Es war still im Lager, auch die Gebärende hatte sich beruhigt, seit die Hebamme zu ihr gekommen war. Hiske Aalken hatte etwas an sich, das die Leute fesselte und gleichzeitig abstieß, wobei Anneke davon ausging, dass es eher der Neid auf die Anmut und Sicherheit der jungen Frau war, der die Leute gegen sie einnahm.
    Über dem Burghof lag eine große Anspannung. Schemering hatte sich, nachdem Krechting eins über den Schädel bekommen hatte, in den letzten Tagen kaum im Lager blicken lassen. Es war, als wäre die Obrigkeit in Lauerstellung gegangen, als warteteten sie auf etwas. Jeder im Lager hatte Angst, der Mörder könne ein zweites Mal zuschlagen, und die Verantwortlichen verkrochen sich.
    Anneke wunderte sich, dass die Hebamme ohne Schutz durch die Nacht lief, ungeachtet der Gefahr, der sie sich aussetzte. Hiske schien unerschrocken, doch genau diese mangelnde Furcht trieb etliche Menschen dazu, ihr Böses nachzusagen. Gerade Magda Dudernixen kamen Worte über die Lippen wie: »Wenn sie sich nicht fürchtet, dann gibt es eben keinen, vor dem sie sich fürchten muss. Sie ist selbst das Böse!« Und sie wurde nicht müde, von Hiskes »kalten Augen« zu sprechen. Anneke hatte die Erfahrung gemacht, dass die Menschen immer das glaubten, was sie besonders oft hörten.
    Von Adele wusste Anneke, dass Hiske den Jungen mit in ihre Kammer genommen hatte. Der Knabe, den alle als Ausgeburt des Bösen sahen, der Schatten, den alle fürchteten. Anneke wusste, was im Lager geredet wurde. Sie hatte sich schon überlegt, Hiske zu warnen, denn so würde es für die junge Frau schwer sein, hier wirklich Fuß zu fassen. Es reichte eben nicht, eine gute Hebamme zu sein. Auch der Bader schämte sich seiner Sticheleien nicht. Er erzählte überall herum, dass Maria ohne Hiske gar nicht erst in die Lage gekommen wäre, fast zu verbluten. Anneke wusste, dass es nicht stimmte, dazu hatte sie selbst zu viele Kinder auf die Welt geholt. Es konnte immer etwas geschehen. Dudernixen war unermüdlich darin, Hiske schlechtzumachen. Der Bader wollte ganz nach oben, tat alles, um von Ascheburgs Platz einzunehmen, und keiner bremste ihn. Obwohl Anneke niemanden kannte, der sein Streben guthieß.
    Sie sah Hiske kurz aus dem Stall treten und nach Luft schnappen. Heute waren erneut ein paar Flüchtlinge übers Meer gekommen. Es waren nicht so viele wie mit dem letzten Schiff, aber das Lager wuchs und wuchs. Krechting und die Häuptlingsfrau mussten bald mit der neuen Siedlung beginnen. Anneke mochte nicht an den Sommer denken, wenn die Fliegen kamen und sich in der über dem Burghof gebildeten Dunstglocke richtig wohlfühlten. Sie würden überall sein: im Essen, auf dem Abtritt, in den Decken. Es war schon im vergangenen Jahr schrecklich gewesen, und nun würde es noch schlimmer werden.
    Krechting hatte für die frühen Morgenstunden wieder eine Zusammenkunft einberufen. Anstatt den Mörder zu suchen, lud er nunmehr zweimal in der Woche in den Burgkeller ein, um zu beten und sich der Märtyrer zu erinnern. Die Menschen konnten so müde sein, wie sie wollten, Krechting erwartete, dass sie kamen, und Anneke wusste, dass er es auch kontrollierte.
    Die Marketenderin blickte aus ihrem Wagen und sah, dass sich die Menschen schon auf dem Burghof versammelten. Anneke mochte diese Zusammenkünfte immer weniger, sie machten ihr inzwischen Angst, nur gab es keinen Weg,

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