Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Samen aus Jever mitgebracht. Es war gut, alles vor Sonnenaufgang in die Erde zu bringen, die Tage wurden schon wärmer, und der Boden würde bald zu trocken sein. Die anderen Kräuter sprossen bereits und mussten verzogen werden, damit sie nicht zu dicht standen und dadurch ihr Aroma nicht entfalten konnten.
Hiske liebte die Gartenarbeit am frühen Morgen, konnte sie doch so in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. Gestern war also der Mann eingetroffen, auf den Krechting seit langer Zeit gewartet hatte. Aber er hatte etwas anderes erwartet. Hiske war sich sicher, dass er keinen Brief, sondern den Mann höchstpersönlich hatte sehen wollen. Immerhin hatte er nach einem Rothmann gefragt. Jan Valkensteyn war allenfalls ein Schutz, eine Art Soldat, der ihn hätte herbringen sollen. Stattdessen schleppte der diesen kleinen dicken Mann an, der Hiske mit seinem Gebaren auf eigenartige Weise an einen Mönch erinnerte. Doch das konnte nicht sein. Kein katholischer Geistlicher würde sich freiwillig in eine Absprengung der überall verbotenen Täufer begeben. Und kein Bote dieser Glaubensrichtung würde sich mit einem katholischen Mönch verbrüdern, das war ihr schlimmster Feind. Soweit reichte selbst Hiskes Fantasie nicht.
Ein Husten ließ sie aufschrecken, und vor ihr stand tatsächlich der Mann, an den sie eben gedacht hatte. »Mit Kräutern kenne ich mich auch aus«, keuchte er. Sein Gesicht war noch immer von ungesunder Färbung, der Mann gehörte ins Bett.
Hiske hob kurz den Kopf, entschied aber dann, dass ihr Verhalten unhöflich war, und richtete sich auf. »Ich bin Hiske Aalken, ich habe Euch hier noch nie gesehen«, log sie.
»Bin gestern gekommen, wir wohnen bei Schemering, auf der anderen Seite der Burg.«
»Ihr seht krank aus, mir deucht, Euch würde eine bequeme Bettstatt nicht schaden.« Hiske sah den Mann an, erkannte eine gewisse Furcht in seinen Augen.
»Garbrand ist mein Name, ich komme von weither und bleibe nicht lange. Mein Freund will nach Emden, Gräfin Anna kann einen guten Arzt brauchen.«
»Euer Reisebegleiter ist Arzt und lässt Euch mit heißem Körper und der kranken Lunge hier draußen herumspazieren?« Hiske fasste es nicht. Schlimm genug, dass die Bader sich wie Scharlatane aufführten, aber dass sich auch die Ärzte so unbedarft zeigten, war wirklich fatal.
»Er weiß es nicht«, hustete Garbrand. Es klang zum Fürchten.
Hiske umrundete die Abgrenzung und winkte den Mann zu sich. »Kommt, ich glaube, ich habe da etwas, was Euch helfen kann.«
»Mir kann keiner mehr helfen. Meine Tage sind gezählt, es gibt keine Rettung. Das Leben hat mich eingeholt, und ich werde unter dem Himmel dieser Herrlichkeit sterben. Wollte ihn nur noch einmal sehen, bevor ich die Augen für immer schließe.«
Hiske nahm Garbrand bei der Hand und zerrte ihn in die Küche, wo Adele gerade dabei war, das Feuer zu schüren.
»Ich brauche gleich heißes Wasser, in das ich mein Leinen tauchen kann«, sagte Hiske.
Adele erstarrte, als sie Garbrand sah, sie hatte Mühe, ihre Gesichtszüge im Zaum zu halten. »Wer ist das?«, fragte sie schließlich.
»Er ist gestern mit einem Arzt in die Herrlichkeit gekommen, und er ist ein kranker Mann, der Medizin und Kräuter braucht. Ich benötige heißes Wasser für mein Leinen und eine kleinere Menge für einen Spezialtrunk, den ich ihm braue.« Hiske huschte in ihre Kammer, mischte ein paar Kräuter, die sie in Adeles dafür vorgesehenen irdenen Behältern aufbewahrte. Sie hatte zum Glück aus Jever etliche Zutaten mitgebracht. Sie mischte Spitzwegerich mit Thymian und Fenchel, gab etwas Hagebutte hinzu. Diese Mischung konnte der Mann mit heißem Wasser aufgebrüht trinken, aber auch einatmen, und seine Luft würde schon bald wieder frei fließen können. Aus ihrer Tasche holte sie noch eine Salbe, die sie erst vor ein paar Tagen hergestellt hatte. Mit etwas Glück würde sie dem Mann helfen oder aber zumindest den Übergang in den Tod erleichtern. Es war eine Chance, denn der Mann hatte recht: Seine Tage waren gezählt, wenn kein Wunder geschah. Die lange Reise hatte ihn geschwächt. Es gab nur wenig Hoffnung. Wenn Hiske nicht alles täuschte, war seine Lunge stark entzündet, und die Hitze wirkte nicht, als habe sie vor, den Körper zu verlassen.
Als sie zurück in die Küche kam, saß der Mann mit leicht vornübergebeugtem Oberkörper am Tisch. Er atmete schwer. Hiske bat ihn, seine Brust freizumachen, damit sie die Wickel anlegen konnte. Doch so müde Garbrand auch
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