Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
sich bemühte. So war es schon immer gewesen. Und doch gab es Menschen, auf die diese Gesetzmäßigkeit nicht zutraf. Und die strahlten dann das aus, was Westerburgs Tochter und den Emder Stadtarzt umgab. Ein Mythos, der ihm fremd war. Liebe und Leidenschaft mit einer Frau kannte Krechting nicht. Seine Leidenschaft hatte immer dem wahren Glauben und dessen Umsetzung gegolten. Nicht nur für sich, auch für alle anderen. Damit war sein Herz besetzt, für andere Gefühle kein Platz.
Elske gebar ihm, wie es sich gehörte, ein paar Kinder, damit es Erben für all das gab, was er sich im Leben geschaffen hatte. Er verstand sich gut mit Elske, eben wie ein Mann sich mit dem Weib verstehen sollte, wenn er das Bett mit ihr teilte. Nie beklagte sie sich, war ihm zu Willen, wenn es ihn gelüstete, sodass er als Mann zufriedengestellt war. Das reichte ihm als Wohlgefühl, nie hatte er Glück im Zusammensein mit seinem Weib angestrebt. Doch wenn er nun den Stadtarzt und Dr. Westerburgs Tochter betrachtete, verspürte er einen Stich und fragte sich zum ersten Mal, ob er vielleicht etwas in seinem Leben versäumt hatte.
Der Wind frischte auf, am Horizont zeigte sich eine Wolke, auf die sie unaufhaltsam zusteuerten. Ihre Farbe wechselte von außen nach innen von einem hellen in ein kräftiges Grau, in der Mitte jedoch konnte man kaum sagen, ob sie eher schwarz oder violett schimmerte. Sie war in mehreren Schichten aufgetürmt, schien unendlich dick und aufgebläht, drohte zu zerreißen und ihren grausamen Inhalt über das Land zu spucken. Diese Wolke trug nicht nur weitere Regenschauer und Gewitter. In ihr tobte ein Sturm, der nur darauf wartete, sich endlich aus der flockigen Umhüllung befreien zu dürfen. Krechting war nicht wohl bei diesem Gedanken. Sie würden sich eine Weile auf See befinden. Wer wusste schon, ob das Schiff solchen Widrigkeiten gewachsen war oder auf Grund lief, weil der Kapitän es nicht auf dem richtigen Kurs halten konnte. Krechting war kein Norddeutscher, er war Westfale durch und durch. So fehlte ihm die Verbundenheit und Gelassenheit der See und den hiesigen Wetterverhältnissen gegenüber, wie sie den Einheimischen oder auch den Holländern gegeben war. Nur durfte er sich das niemals anmerken lassen.
Hinrich hatte bei seiner Rückkehr nicht viel im Gepäck, was seine Aufträge anging. Dazu war er dann doch zu kurz in der Seehafenstadt geblieben. Hebrich von Knyphausen würde nicht sehr zufrieden mit seiner Arbeit sein. Zumindest aber konnte er ihr mitteilen, wo sie das Gödenser Stadthaus errichten lassen konnte, denn a Lasco hatte ihm versichert, dass er Gräfin Anna darüber in Kenntnis setzen würde, die mit Sicherheit keinerlei Einwände haben würde. Ein paar Dinge über die Diakonie hatte er ebenfalls in Erfahrung bringen können. Was er davon in der Neustadt umsetzen konnte, würde sich zeigen. Krechting fühlte sich müde. So ausgelaugt. Er hoffte inständig, dass sie den Mörder dieses holländischen Kaufmanns dingfest gemacht hatten, damit er wenigstens diese Sorge los war. Er überlegte, wie es sich anfühlte, seinem Neffen mehr Verantwortung zu geben, sich selbst ein wenig aus dem politischen Tagesgeschäft zurückzuziehen. Er hatte mehr für die Herrlichkeit Gödens getan als andere zuvor. Er dürfte es ruhiger angehen lassen. Wie schön wäre es, sich von nun an stärker um seine Bienenvölker zu kümmern, die gerade jetzt in großen Schwärmen ihren Nektar sammelten. Er würde den schmackhaftesten Honig herstellen und vertreiben. Doch er wusste selbst, dass diese Vorstellung ein Tagtraum war, den er nie und nimmer würde umsetzen können. Das Siel war noch nicht fertig, die Neustadt erst zur Hälfte erbaut. Dazu kamen die Aufgaben in der Armenfürsorge und als Kirchenvorstand, die er zu erfüllen hatte. Seine Tage würden nicht ruhig sein, und die Bienen mussten weiter allein ihren Nektar sammeln, während der Knecht, nicht er, die Waben schleuderte.
Er war die rechte Hand Hebrichs, und wenn er ehrlich war: Lieber würde er sich diese Hand abhacken lassen, bevor er auch nur eine Winzigkeit seines Einflusses abgab. Auch an Wolter nicht. Der war ihm ohnehin nicht geradlinig genug.
Das Lachen Cornicius’ riss ihn aus seinen Überlegungen. Es hatte nicht ihm gegolten, sondern einem Seehund, der neben dem Schiff aufgetaucht war und zu dem sich nun ein zweiter gesellte. Die beiden neckten sich, hatten keinerlei Scheu vor den Menschen auf der Kraweel, die sich durchs dunkle Nordseewasser
Weitere Kostenlose Bücher