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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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kämpfte und deren Rumpf sich in den letzten Minuten merklich stärker auf- und niedersenkte. Der Himmel hinter ihnen war zu einer einzigen dunkelgrauen Masse zusammengeflossen, die dem Schiff wie ein geschlossenes Heer folgte.
    Krechting umklammerte die Reling, versank mit seinem Blick in der Gischt des trüben Nordseewassers. Die Welt um ihn herum war genauso wenig unbeschwert wie sein Dasein. Einzig die Seehunde scherten sich nicht um das, was um sie herum geschah. Sie waren sich selbst genug. Ihn hingegen drückten Last, Verantwortung und eine nicht zu bändigende Zerrissenheit. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Und er wusste einfach nicht, wie lange er das noch aushalten konnte. Krechting löste die Hände von der Reling und sah in die Innenflächen. Es klebte Blut daran. Sehr viel Blut. Das Blut der zahlreichen Papisten um Bischof von Waldeck, das Blut der Menschen, die unter seinem Befehl in Münster kämpfen mussten. Und das Blut der Widersacher, die es gewagt hatten, sich ihm in den Weg zu stellen.

Amsterdam 1532
    Ich muss mit dir reden, Meisje«, sagt Amilia. Ihre Stimme hat zwar noch die immer gleiche Freundlichkeit, die das Mädchen einhüllt wie feinste Seide, doch schwingt nun eine gewisse Sorge und Furcht darin. Etwas ist geschehen, das ihr ruhiges Leben auf den Kopf stellen wird. »Ich möchte zurück nach Amsterdam.«
    Das Mädchen zuckt zusammen, schüttelt den Kopf. Diese Stadt ist böse, dort fließt Blut, peinigt der Schmerz. Das weiß Amilia aber nicht. Sie weiß nicht, wie Mutter ausgesehen hat, als der Mann weg war, weiß nicht, wie das frische Blut seine Spur auf dem Boden hinterlassen hat. Sie kennt nicht den Schmerz, den böse Jungs verursachen, wenn sie seltsame Geräusche machen und auch noch Spaß daran haben, so etwas zu tun.
    Amilia aber spricht weiter. Nun wirkt sie sicherer. Sie hat den Entschluss schon länger gefasst, er ist unumstößlich. »Dort sind Männer, die den neuen Glauben predigen, Meisje. Frauen sind nicht weniger wert, so wie die Pfaffen es sagen. Und die Hölle gibt es auch nicht. Es ist das Paradies auf Erden, dem wir mit Gottes wahrer Anbetung entgegenstreben. Mit Menschen, die denken und fühlen wie wir. Frieden, Gleichheit, Freiheit.«
    Das Mädchen möchte lieber bei der Ziege und der Kuh und dem Kräutergarten bleiben. Es weiß nichts davon, ob die Dinge so wichtig sind, wie Amilia sagt. Frieden, Freiheit und Gleichheit hat das Mädchen auch hier. In der Kate in der Blumenwiese. Selbst wenn der Wind mal heftiger um das Häuschen streift und die Grassoden herunterreißt, haben sie all das hier.
    »In drei Tagen gehen wir!«, sagt Amilia. »Bis dahin habe ich alles gepackt.«
    Das Mädchen sitzt die zwei folgenden Tage bei ihren Freunden, der Ziege und der Kuh, im Stall, melkt sie, streicht sacht über die Euter. »Ihr seid meine Freunde, ich gehe nicht weg.«
    Die Ziege leckt ihr die Hand, die Kuh schlägt mit dem Schwanz, kitzelt sie im Gesicht.
    Amilia weckt sie früher als sonst, der Mond steht noch am Himmel, wirkt wie von einem Schleier bedeckt, als habe er vor, bald ganz dahinter zu verschwinden. »Wir müssen aufbrechen, Meisje. Füttere die Tiere, melke sie und binde sie anschließend los. Lass die Stalltür einfach auf.«
    Das Mädchen schüttelt den Kopf. Hier ist es sicher, hier sind keine bösen Jungs, hier warten keine Männer mit großen Messern. Es will bleiben. Für immer.
    Aber Amilia lacht. »Nun mach schon! Es wird gut werden, dort, wo wir jetzt hingehen. Auch ohne die Viecher.«
    Das Mädchen geht in den Stall und verrichtet die ihr aufgetragenen Arbeiten. Ein bisschen langsamer als sonst. Sie will es auskosten. Ein letztes Mal den Duft der Ziege und der Kuh in sich aufsaugen.
    »Nun komm, es wird Zeit! Sie finden neue Herren. Die Not ist groß, unsere Nachbarn werden sich freuen.« Mit diesen Worten löst Amilia die Stricke, gibt sowohl der Ziege als auch der Kuh einen Klaps. Beide zögern, als spürten sie die Endgültigkeit dieses Augenblicks.
    Am Horizont malt die aufgehende Sonne einen roten Streif, nicht mehr lange, und die Nacht wird von der Helligkeit des Tages verdrängt. Das Mädchen weint, als die Leiber der beiden Tiere sich mit der Dämmerung vermischen und schon bald nicht mehr zu sehen sind.
    Amilia hat bereits alles in den Karren gepackt. Decken, Vorräte, zwei Stühle und der Tisch sind darauf verschnürt. Als sie den Wagen anzieht, bewegt er sich zunächst nicht von der Stelle. Das Mädchen muss kräftig von hinten mit

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