Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
Frage auf den Lippen. »Hiske ist verschwunden, nachdem sie bei dir war. Weißt du, wo sie sein könnte?«
Anneke zuckte zusammen. »Weg?«, hauchte sie. »So schnell?«
»Was heißt das?«
»Sie hatte gesagt, sie wolle die Herrlichkeit verlassen. So rasch es geht.« In Annekes Stimme schwang ein kleiner Triumph, als sie das Entsetzen in Jans Augen sah. »Sie wollte eigentlich noch warten, bis der Wortsammler wieder da ist. Aber wahrscheinlich hat sie es sich anders überlegt.«
Jan lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. »Sie wäre nie ohne den Knaben gegangen, das weißt du genau.«
Annekes Schultern zogen sich fast bis zu den Ohren. »Es gibt immer Gründe, anders zu handeln, als man es normalerweise tun würde.«
»Welche Gründe sollten das ein, Anneke? Sie wusste doch, dass ich den Jungen suchen wollte. Und auch, dass ich zurückkomme.«
Anneke legte ihre Hand auf Jans Unterarm. »Sie weiß den Knaben beim Mönch in guter Obhut. Und dich wollte sie nicht mehr. Sie hat dich mir überlassen.«
Jan wurde schlecht. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Sie hatte der Marketenderin tatsächlich gesagt, sie könne ihn haben? Wollte sie ihn verschachern wie einen Stier auf dem Viehmarkt?
Anneke war ans Fenster getreten. »Ich denke, sie ist mit der Kraweel los. Die legt gerade ab, und Hiske hatte nur ein Ziel: weit weg von dir und der Herrlichkeit.«
Krechting sah, wie sehr sein Weib erschrak, als er in die
Olde Krochtwarft
eintrat.
»Du bist schon da? So früh habe ich dich nicht zurückerwartet. Hast du alle Geschäfte in Emden bereits erledigt?« Erst jetzt erkannte Elske hinter ihm den Mann. »Du hast Besuch mitgebracht?«
Krechting nickte. »Es ist Jacobus Cornicius, der Emder Stadtarzt. Er möchte Jan Valkensteyn zur Hand gehen, was das Marschenfieber angeht. Er kann in der kleinen Abseite neben der Küche sein Lager aufschlagen.«
Elske schüttelte entschieden den Kopf. »Ich lasse die Gesindekammer räumen. Die können sich in der Abseite niederlegen. Ein Arzt braucht eine anständige Bettstatt und eine größere Kammer.«
Jacobus hob abwehrend die Hände. »Keine Umstände! Ich habe während meiner Studentenzeit und bei meinen Forschungsreisen ganz andere Unterkünfte gehabt. Mir reichen ein Strohlager und eine Decke für die Nacht. Wenn Ihr dann noch eine Mahlzeit am Morgen und Abend bereitstellt, werdet Ihr mich gar nicht bemerken.«
»Das ehrt Euch, aber Ihr seid unser Gast. Ich werde mich um ein Federkissen kümmern und Euch den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich gestalten.« Damit entschwand Elske.
Hinrich sah ihr nach, und ihm kam das Bild vor Augen, wie sich Jacobus und Westerburgs Tochter angesehen hatten. Nie war eine solche Vertrautheit zwischen ihm und Elske möglich gewesen.
»Es ist wirklich alles sehr abgelegen. Meint Ihr, Dr. Westerburg wird die angebotene Pfarrstelle endgültig annehmen?« Krechting hatte Jacobus von den Plänen Hebrichs erzählt.
Hinrich zuckte mit den Schultern. »Er hat noch immer den Gedanken, nach Köln zurückzukehren, aber seine täuferische Vergangenheit wird ihm das nicht leicht machen.«
Jacobus nickte. »Das glaube ich auch. Ich denke, er wird dort sein Erblehen nicht mehr annehmen können.«
Krechting bot Jacobus einen Stuhl an. »Setzt Euch. Ich lasse Bier bringen.« Der Jurist rief nach der Magd, die augenblicklich erschien und zwei Becher mit dem Getränk bereitstellte. Dazu gab es frisches Weißbrot und Käse.
»Wir haben hier ganz große Sorgen. Man hat einen angesehenen Kaufmann aus Amsterdam getötet, und wir finden den Mörder nicht. Da alle mit dem Bau des Siels und des Fleckens beschäftigt sind, ist das Interesse daran verschwindend gering. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es ein Seemann war, der sich anschließend aus dem Staub gemacht hat. Zu groß ist meine Befürchtung, dass sich der Mörder noch hier in der Gegend herumtreibt. Hinzu kommt dieses Marschenfieber, und jetzt ist auch noch unsere Hebamme verschwunden.«
»Ihr schätzt das Weib sehr?«
Krechting nickte. »Es gibt nur wenige Frauen, die ihren Weg so gezielt gehen wie Hiske Aalken. Sie ist mutig und klug. Unterscheidet sich dadurch sehr von den meisten Weibsbildern.«
Jacobus nahm einen Schluck Dünnbier und schüttelte sich. Krechting bemerkte es sehr wohl, äußerte sich aber nicht dazu. »Und Euch kann ich es ja sagen, Ihr seid ähnlicher Gesinnung: Hebrich plant, ich solle mit einem alten Mönch, der noch immer glaubt,
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