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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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brachte oder ihn sogar am Ende verdächtigte. Er hatte es gelernt, unsichtbar zu sein, sich hinter seiner Maske zu verstecken.
    Schon als kleiner Junge war es für Klaas Krommenga besser gewesen, sich zu ducken, wenn die anderen Knaben kamen. Sein Narbengesicht, das ihn von Kindesbeinen an verunstaltete, wurde in späteren Jahren zusätzlich von eitrigen Pusteln übersät. Hinzu kamen seine deformierte Beinform und sein daraus resultierender schwankender Gang, der nun mit dem Fehlen des einen Beines seine Vollendung gefunden hatte. Während die anderen jungen Männer sich damit brüsteten, wie oft sie ein Weib zwischen ihre Lenden pressten und sich an ihnen erleichterten, wagte Klaas sich wegen seiner offensichtlichen Hässlichkeit nicht einmal zu einer Duuvke. Und als er es endlich gewagt hätte, schlug er längst im Namen Fräulein Marias von Jever den Mördern und Dieben mit dem Schwert den Kopf von den Schultern, ließ die Scheiterhaufen lodern oder ergötzte sich am Wehklagen der gefolterten Seelen. Da ließ ihn nicht einmal mehr eine Hure an sich heran. Weil sich ihm kein Weib freiwillig hingab, hasste er jede Frau mit einer Inbrunst, wie es nur ein Mensch konnte, der so abgelehnt wurde wie Klaas Krommenga. Aber auch auf Männer wie Friso, die nur mit dem Finger schnippen mussten, um eine Frau aufs Lager zu bekommen, durchtrieb ihn eine Wut. Es war ihm immer eine besondere Freude gewesen, wenn er einen von ihnen ins Jenseits schicken konnte. Später, als diese Männer in ihrer Arroganz ihr ganzes eingesetztes Geld an ihn verloren, klopfte er sich stets heimlich auf die Schulter.
    Die Menschenmenge löste sich auf, nachdem der Tote abtransportiert worden war. Die Leute der Neustadt würden nun ihrem Tagwerk nachgehen, sich noch ein paar Stunden oder Tage die wildesten Gerüchte zuraunen, bevor sie das Leben wieder in seiner eintönigen Geschäftigkeit nahmen wie es war. Trist, schwer und unvorhersehbar. Immer mit der Sichel des Todes im Rücken, immer mit der Furcht, den nächsten Tag vielleicht nicht mehr erleben zu dürfen, weil sich eine Krankheit des Körpers bemächtigt hatte oder ein Unfall dem Dasein ein vorschnelles Ende bereitete.
    Auch jetzt flogen noch wenige Worte zwischen den Menschen hin und her, aber tief berührte der Mord an dem Kaufmann niemand. Friso van Heek war keiner von ihnen gewesen. Sie würden den Mörder nicht finden. Niemals würden sie das. Er, Klaas Krommenga, wusste warum, und er würde seine Kenntnis nutzen. Nun war es an der Zeit, sich in der Neustadt umzusehen. Harmlos, beiläufig und unauffällig.
    Für seine Mission hatte sich der Scharfrichter eigens ein neues Wams und neue Beinkleider schneidern lassen. Dort, wo das Holzbein das echte ersetzte, umschlang eine gut gearbeitete und unterlegte Socke das Manko. Ein geschickter Schuster hatte ihm dazu den perfekten Schuh angepasst. Man musste schon genau hinsehen, damit man sein Gebrechen auf den ersten Blick erkannte. Nur dass er dieses Bein nachzog, ließ sich einfach nicht verbergen.
    Auch der Schuster hatte gegen Klaas im Spiel verloren, genau wie der Fischer, dem er das Boot abgeluchst hatte, mit dem er von Jever erst in die Jade, dann ins Schwarze Brack geschippert war. Das Spiel mit gezinkten Karten hatte ihn schon in kürzester Zeit zu einem der besten Spieler Jevers gemacht, und er war in allen Wirtshäusern gefürchtet. Mit dem notwendigen Geld hatte er dennoch nicht erreicht, sich innerhalb der Stadtmauern niederlassen zu dürfen. Also lebte er weiter dort, wo in Jever das unehrenhafte Volk wohnte. Obwohl leben übertrieben war. Unter Leben verstand Klaas Krommenga ein stattliches Dasein. So eines, wie Remmer von Seediek es hatte oder wenigstens die Kaufleute. Die, die schwarze Samtroben auf ihrer Haut trugen. Die, die sich mit weißen Kragen schmückten. Die hohe lederne Stiefel ihr Eigen nannten und deren spitzenbesetzte Manschetten bis weit über die Handgelenke hinausragten. Sein Besitz bestand aber immerhin aus einer heruntergekommenen Kammer, während die meisten der Huren und Bettler sich in schmutzigen Holzverschlägen niedergelassen hatten.
    Klaas stolzierte am neuen Siel entlang, nachdem er sich das Wams zurechtgerückt und das Barett tief ins Gesicht gezogen hatte. Eine Frau mit ausladenden Hüften und einem Weidenkorb, der mit allerlei Broten gefüllt war, drängelte sich an ihm vorbei. Der Duft des frisch Gebackenen zog verführerisch in Klaas’ Nase und machte ihm deutlich, wie hungrig er war. Er musste

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