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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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jemals nennen würde. Und nun war er ohnehin mit Anneke beschäftigt. Hiske schluckte den aufkommenden Kloß im Hals herunter. Sie war die ganzen Jahre ohne Jan ausgekommen und würde das auch jetzt tun.

Amsterdam 1529
    Gegen Abend, aber oft auch am Tag, ist der Vorhang vor der Bettstatt der Mutter zugezogen. Das Laken schaukelt in einer rhythmischen Bewegung hin und her, und die Geräusche ähneln denen aus den anderen Kammern des Hauses.
    Das Kind soll neuerdings aus der Wohnung verschwinden. Mutter braucht nur zu nicken, dann geht es. Es will die Männer nicht sehen. Sie machen ihm Angst. Aber draußen, in der Dämmerung, fürchtet es sich auch. Die Geräusche sind anders als am Tag, die Gesichter der Menschen mürrischer, ihre Körperhaltung gebückter.
    In der Dämmerung wagen sich auch die Geschöpfe der Nacht aus ihren Löchern. Jeder Schritt wird vom Fiepen der Ratten begleitet, ein paar der Tiere huschen über die Füße. Ein leichtes Kribbeln, dazu das sachte Streicheln eines behaarten Bauches. Noch nie hat eine Ratte dem Kind etwas getan, dennoch findet es die langen dunklen Leiber mit dem unbehaarten Schwanz unheimlich. Sie sind so etwas wie dunkle Vorboten auf eine Zeit, die ihm noch bevorsteht. Jedes Jahr ist es schlechter geworden, jedes Jahr ist etwas in das kleine Leben getreten, das es nicht versteht.
    Auch jetzt steht es bis zu den Knöcheln im Unrat der Straße, in der sich die Leute schlagen. Es dämmert schon, als sich das Kind vom Haus entfernt, denn der Mann ist gerade erst gekommen, und es wird dauern.
    Das Kind läuft, an die Häuserwände geduckt, in Richtung Marktplatz. Dort werden die letzten Stände gerade abgebaut. Ein paar der Marktbeschicker zählen ihre Münzen, bevor sie sie endgültig in ihren Säckchen verschwinden lassen. Andere fegen ihre Wagen aus, wieder andere schlurfen mit gesenktem Blick, den Karren hinter sich herziehend, in die Richtung, wo das Kind ihr Zuhause vermutet. Ein Seifenhändler ist nicht mehr da. Sonst hätte es sich dorthingeschlichen, um wenigstens den Duft in die Nase zu bekommen und die ganze Nacht davon zehren zu können.
    Mit einem Mal spürt es eine Hand auf dem Kopf. Sie umfasst ihn fest. Das Kind wagt nicht, sich zu bewegen, denn die Stimme am Ohr klingt scharf. »Wie kommt es, dass sich solche Wichte hier herumtreiben? Ich habe dich kürzlich beobachtet, als du dem Seifensieder das Stück Seife gestohlen hast. Und ich habe beobachtet, wie du ihm gefolgt bist. Immer mit der Nase in der Luft wie ein witterndes Tier!«
    Das Kind zuckt zusammen. Stehlen darf man nicht, das weiß es. Es war aber so einfach, so verführerisch. Das Stück Seife hat einfach dort gelegen, und es hat gut gerochen. Nicht nach einfachem Talg, sondern nach Gras und Blüten. Der Seifensieder musste Rosenblätter und Ähnliches in den Sud eingerührt haben.
    »Du hättest das Ding in jedem Fall benutzen sollen. So dreckig, wie du aussiehst, weißt du gar nicht, wozu man so etwas braucht.«
    Es riecht einfach gut, denkt das Kind. Es riecht einfach gut. Und eines Tages werde ich immer in diesen Seifen baden. Ich werde unendlich davon haben. Sie werden nach Honig duften und nach Rosen, nach Frühling oder Herbst. Es bewegt die Lippen, doch kein Ton verlässt sie.
    »Bist du eigentlich ein Junge oder ein Mädchen?« Die Hand krallt sich fester um den Kopf, zieht am Haar. Das Kind presst die Lippen zusammen, damit es nicht aufschreit.
    »Hast Schiss in der Büx?«, lacht der Junge. Seine Zähne sind gelb, die Haut dreckig. Ihm hätte ein Stück Seife auch nicht geschadet. Die Mutter hat das Kind immer vor diesen Jungen gewarnt. »Es sind Gossenjungs. Nimm dich vor ihnen in Acht. Sie haben keinerlei Moral und Anstand, sehen nur zu, dass sie überleben, egal wie.« Das war aber noch vor der Zeit gewesen, als sich das Bettlaken vor Mutters Bett zugezogen hat. Jetzt sagt Mutter solche Dinge nicht mehr.
    »Was bist du denn jetzt, Rotzgöre? Junge oder Mädchen?«
    Das Kind schüttelt den Kopf. Es sieht sich um, will zu seiner Mama. Auch, wenn der laute Mann noch da ist, das Laken wackelt und komische Geräusche die Kammer fluten. Das ist weniger schlimm als das hier. Das hier ist auch schlimmer als die Ratten mit ihren fetten Bäuchen. Fast wünscht das Kind, eine käme und würde dem Jungen in die Füße beißen.
    Das Kind bewegt die Augen, den Kopf muss es stillhalten, zu sehr zerrt der Junge an seinem Haar. Es kann nicht entkommen, hinter den Wagen tauchen immer mehr Jungen auf, die

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