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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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schnell einen festen Ring um das Kind bilden.
    »Junge oder Mädchen?«, wiederholt er zum dritten Mal die Frage. »Sag es uns oder müssen wir das selbst herausfinden?«
    Das Kind fliegt mit dem Gesicht voran in den Dreck. Der Kopf wird in den undefinierbaren Unrat gedrückt, der sich sofort in die Nase arbeitet und das Gesicht weich umschließt. Das Kind hält die Luft an, japst, als der Junge es kurz loslässt, damit es Luft bekommt. Es wagt nicht zu schreien, als er ihm die Sachen vom Leib reißt.

6. Kapitel
    Die Sonne stand bereits hell am Himmel, als Anneke von einem lauten Schrei geweckt wurde. Sie sprang aus dem Bett und steckte den Kopf aus ihrer Kammer, um zu sehen, wo der Ruf herkam. Sie hörte ein Stöhnen, das eindeutig von Lina, der jungen Duuvke, stammte. Anneke betrat deren Kammer und sah mit Entsetzen, dass das Mädchen in einer Lache von Blut lag. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, hielt sich den Bauch und weinte. »Ich bin in Hoffnung, Anneke. Einer der Männer hat es mir hinterlassen.« Grieta, die andere Hure, die sich mit Lina die Kammer teilte, saß wie versteinert hinter ihrem Tuch.
    Anneke riss Lina herum. Sie war von zarter Statur, mit feinen Gliedmaßen, und besaß eine überaus dunkle Haut. Ihr kindliches und fremdländisches Aussehen zog ganz bestimmte Männer an.
    »Hast du nicht verhütet, wie ich es dir gesagt habe?«
    Lina nickte. »Doch. Ich habe Blätter mit Honig beschmiert, alles hinterher ausgewaschen und bin in die Hocke gegangen und habe geniest. Und doch ist sie jetzt da, diese Frucht, die ich nicht will.«
    In Annekes Gesicht musste die Wut geschrieben stehen, denn Lina war bei jedem ihrer Worte ein Stück mehr in sich zusammengesackt.
    »Was hast du jetzt getan? Du blutest, als habe man einer Sau die Lanze in den Hals gerammt«, stieß Anneke hervor. Bemüht, nicht zu laut zu werden, denn niemand auf der Straße durfte von diesem Unglück erfahren. Lina musste es überleben, egal wie.
    Anneke verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte, was sie tun sollte. Dann griff sie zu einem Stück Leinen und presste es Lina vor den Unterleib. »Was verdammt hast du getan, dass du dermaßen viel Blut verlierst?«
    »Petersilienwurzel«, schluchzte das Mädchen. »Ganz viel Petersilienwurzel. Und den Sud der Samen.«
    Anneke wechselte das Leinen. Lina blutete viel zu stark, sie brauchte Hilfe. Zuerst fiel ihr Jan ein, aber da bestand die Gefahr, dass er ihre Lüge, sie sei keine Hure mehr, durchschaute. Jan war nicht dumm und konnte sich rasch zusammenreimen, dass das hier doch ein Duuvkehuus war und Anneke durchaus noch Männer empfing. Das musste sie um jeden Preis verhindern. Jan sollte sie ehelichen, und nun machte ihr Lina einen Strich durch die Rechnung. Und wenn Krechting gewahr wurde, dass sie ein Hurenhaus betrieb, würde er sie mit Schimpf und Schande davonjagen.
    »Du musst was tun. Sie stirbt!«, sagte nun auch Grieta, die sich endlich hinter ihrem Laken hervorgewagt hatte.
    »Ihr sollt doch beide achtgeben, euch nicht schwängern zu lassen! Verdammt«, zischte Anneke. »Jetzt gibt es nur einen Weg.« Sie wandte sich an Grieta. »Los, hole die Hebamme. Entweder sitzt sie noch bei dem fiebernden Kind der Weberin oder sie ist schon wieder in ihrer Kate. Beeil dich und mach keinen Lärm. Die Menschen sind schon wach und sollen nicht misstrauisch werden. Wenn du Hiske Aalken Bescheid gegeben hast, stellst du dich vorn in den Laden und tust, als sei nichts geschehen. Genau das mache ich nämlich jetzt auch.«
    »Und ich?«, wimmerte Lina.
    »Du bleibst da liegen und bist still. Wenn auch nur irgendwer erfährt, womit wir hier unser Geld verdienen, dann jagen sie uns aus der Neustadt, und es wird ihnen egal sein, ob du gerade krepierst oder nicht. Wir haben gegen die obersten Regeln der Mennoniten, Täufer und Reformierten verstoßen!« In Annekes Stimme schwangen Sorge, aber auch Angst mit. Lina warf sie einen sauberen Lappen zu. »Hier, da kannst du draufbeißen. Wenn der Schmerz zu heftig wird.«
    »Und was soll ich der Hebamme sagen, wenn es doch so gefährlich für uns ist?«, fragte Grieta.
    »Die Wahrheit. Wir haben keine Wahl. Wenn dich aber jemand anders fragt, behauptest du, wir haben das Fieber. Das, was aus den Mooren kommt.«
    Grieta machte sich auf den Weg.
    Anneke sorgte sich, ob die Duuvke ihrer Aufgabe gewachsen war. Grieta war ebenfalls noch jung, zählte keine sechzehn Lenze, war bei den Kunden aber sehr beliebt. Dennoch, egal, wie das hier

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