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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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ausging: Anneke würde beide Huren fortschicken müssen. Sie musste schauen, ob sich auf dem nächsten Schiff eine Mitfahrgelegenheit bot. Die Mädchen konnten sich in Emden anbieten oder als Wanderhuren weiterziehen. Männer, die Weiber wie sie brauchten, gab es genug.
    Anneke öffnete den Laden. Normalerweise wäre sie heute gern ihrem Tagwerk nachgegangen, denn sicher würde Jan Valkensteyn vorbeisehen. Er hatte es versprochen, und dem Blick nach zu urteilen, als er sie gestern im Türrahmen gestreift hatte, war eine gewisse Begehrlichkeit in ihm geweckt worden. Sie wollte das weiter vorantreiben. Nicht mehr lange, und der Arzt würde ihr aus der Hand fressen. Wenn er erst bei ihr gelegen hatte, konnte sie von ihm die Ehe fordern, und er war Ehrenmann genug, sie dann nicht zurückzustoßen. Männer waren einfach zu lenken. Und sie wusste, wie man es machte.
    Anneke sortierte ihre Waren, bediente eine Kundin, die etwas Nähseide benötigte. Anschließend scheuerte sie die Holztheke mit Sand und fegte den Laden aus. Ständig sah sie hinaus, wartete auf das Auftauchen der Hebamme, doch diese kam nicht.
    Mittlerweile war der Ort erwacht, die ersten Ausdünstungen legten sich über die Straßen. Das war im Sommer nicht immer angenehm. Zunächst hatte Krechting geplant, Abfallgruben wie in Münster anzulegen, damit der Dreck nicht einfach auf die Straße geworfen wurde. Doch dann war einer der Holländer auf die Idee gekommen, das ausgeklügelte System der Abfallentsorgung aus Amsterdam zu übernehmen. Dort hatte man nämlich, wegen des vielen Drecks in den Straßen, kürzlich begonnen, Abfallbehälter aufzustellen und regelmäßig zu leeren. Müll gab es ohnehin kaum in der Neustadt, vieles wurde weiterverwendet. Lediglich die Fäkalien wanden sich in unendlicher Langsamkeit in den Kanälen der schmalen Gänge zwischen den Häusern und stanken bei der momentanen Hitze bestialisch.
    Anneke streckte dennoch den Kopf zur Tür hinaus, um zu sehen, ob die Hebamme endlich in Sichtweite war. Wenn Grieta erst bis zur Kate, die nahe der Burg Gödens lag, laufen musste, würde es lange dauern. Womöglich war Lina bis dahin verblutet. Warum zum Teufel hatte das dumme Ding auch eigenhändig versucht, die Frucht aus dem Körper zu vertreiben? Die Abmachung war, in solchen Fällen einen Deicharbeiter zu freien. Die hatten oft keine Weiber und waren froh, wenn sie eines abbekamen, da sie einer Frau nicht mehr bieten konnten als ein löchriges Dach über dem Kopf. Bei diesen Männern gehörten Schmutz und Armut zum Alltag. Das wollte Lina offensichtlich umgehen, wollte nicht den Rest ihres Lebens mit Heu- oder Wollresten ausgekleidete Klumpen tragen, weil die Münzen nicht für andere, feine Lederschuhe reichten. Deshalb nahm sie lieber in Kauf zu sterben, als für den Rest ihres Lebens an einen grobschlächtigen Mann gebunden zu sein.
    Endlich kam Hiske um die Ecke, Grieta hetzte hinterher. Die Hebamme wirkte blass und ziemlich übermüdet. Vermutlich hatte sie die ganze Nacht um das Leben des fiebernden Kindes gekämpft. Zumindest konnte sie in der Zeit nicht Jan bezirzt haben.
    Hiske hob fragend die Brauen, und die Marketenderin geleitete sie nach hinten in die Kammer Linas. Die Blutlache hatte sich merklich vergrößert, das Mädchen war nicht mehr bei Bewusstsein.
    »Sie ist schwanger?« Hiske erfasste die Lage sofort. »Was hat sie genommen?«
    »Petersilienwurzel und einen Sud aus Samen«, erklärte Anneke.
    Hiske hob die Decke und erschrak, als sie das viele Blut sah. »Das kommt nicht nur von der Petersilie«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, ob ich sie retten kann. Das sieht gar nicht gut aus.«
    »Du musst«, bestimmte Anneke und schloss die Tür. Draußen lehnte sie sich an die Wand. Was würde die Hebamme tun? Hiske wusste von Annekes Tätigkeit auf dem Burghof, und sie hatte mit Sicherheit auch vom heimlichen Duuvkehuus gehört. Nur war es da ein Gerücht gewesen. Ein Gerücht, dem man nicht nachgehen musste. Jetzt aber steckte die Hebamme mittendrin, war eine heimliche Mitwisserin. Sie war zu einer Gefahr für Anneke geworden.
    Klaas Krommenga wusste nun genau, wo die Hebamme lebte. Es war ein Stück Fußmarsch dorthin, was ihn mit seinem Holzbein vor eine gewaltige Aufgabe stellte, doch das war kein Hinderungsgrund. Er hatte sich sogar in der ersten Nacht bis zur Burg und ein Stück weiter durchgeschlagen, war dann aber umgedreht. Es war wichtig für ihn, die Lage genau zu orten, sicher zu wissen, wohin eine Flucht

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