Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
geschehen ist. Da du nicht darüber reden willst, muss es dir sehr nah gegangen sein. Aber ich weiß, dass du sie nicht vergessen kannst, und mit einem solchen Schatten würde ich ohnehin nicht leben wollen. Allein wie du ihren Namen ausgesprochen hast, wie du erwähnt hast, dass sie so schön wie Anneke war …« Hiskes Stimme brach. Es lag kein Stolz mehr in ihren Augen, lediglich großer Schmerz. »Bitte geh, Jan. Mein Leben kippt gerade völlig um. Der Wortsammler ist weg, ich weiß nicht mehr ein noch aus. Und ich will nicht, dass man mir das Herz bricht. Auch du nicht! Noch kann ich es verschmerzen; kämst du mir näher, wäre es unmöglich. Bitte geh!«, wiederholte sie und stürzte aus der Küche.
Jan glaubte das Vibrieren der Tür förmlich zu sehen, weil Hiske sie schwungvoll hinter sich zugeschlagen hatte. »Du hast das alles ganz falsch verstanden«, flüsterte er, immer noch auf die Tür starrend, die nun unwiderruflich verschlossen war.
Hiske hatte ihm ihre Gefühle gestanden, was ihm einmal wieder deutlich machte, wie sehr sie sich von allen Weibern unterschied, denen er je begegnet war. Sie war selbstsicher, wusste stets, was sie tat. Aber sie wollte sich nicht verletzen lassen, und dazu machte sie sich ihm gegenüber verletzlich. Trotz allem zeugte das von sehr großem Vertrauen.
Jan sah hinaus. Es war fast dunkel, die Regentropfen prasselten auf den Weg. Das Donnern zerschmetterte die Luft, und auf der gegenüberliegenden Wegseite knickte ein Baum unter der Last des Sturmes um.
»Es stimmt, Lieke sah Anneke ähnlich, sie trug ihr Haar auch offen, und es schimmerte im Schein der Sonne rötlich. Ihre Haut war von Sommersprossen übersät, und sie war ganz bezaubernd«, flüsterte Jan. Er lehnte den Kopf gegen die Scheibe, merkte, dass er weinte. Er weinte die Tränen, die er viele Jahre unterdrückt hatte. »Aber Anneke ist ein anderer Mensch als Lieke, dazu eine Duuvke; ob sie es noch ist oder nur war, ist unerheblich. Sie kommt keinesfalls als Gefährtin für mich infrage. Mein Herz gehört ihr nicht.« Jan hieb mit der Faust gegen die Wand. »Warum weiß ich nichts davon, dass der Wortsammler weggelaufen ist? Es muss Wolter Schemering doch zugetragen worden sein.«
Jan fiel es wie Schuppen von den Augen. Natürlich wusste der Landrichter davon, aber er hielt es für unwichtig und fühlte sich zudem nicht berufen, Jan darüber in Kenntnis zu setzen. Der Wortsammler war für den Landrichter so unwichtig wie ein entlaufenes Huhn. Er wollte ihn nicht suchen lassen. Alles, was er wollte, war: Ruhe in der Neustadt und das Voranschreiten des Baus. Alles andere wurde dem untergeordnet. Jetzt, wo Krechting in Emden weilte, ging es deshalb mit Recht und Gerechtigkeit den Bach hinunter.
Jan ließ sich auf die Küchenbank fallen, die bedrohlich ächzte. Er konnte nicht fort, das Unwetter tobte sich draußen aus, als habe es vor, die Herrlichkeit in Schutt und Asche zu legen. Donner folgte auf Blitz, dazwischen hörte Jan es knirschen und ächzen, wenn ein Baum zerbarst. Glücklicherweise hielt das Dach dem Sturm und Regen stand, es waren keine weiteren Dachpfannen abgegangen.
Jan nahm sich aus dem Krug einen Becher Dünnbier, er war hilflos. Hiske saß vermutlich weinend in ihrer Kammer, der Wortsammler war verschwunden, und so wie es schien, kümmerte Wolter Schemering sich nicht einen Deut darum, wer der Mörder Friso van Heeks sein könnte. Für ihn hatte das nicht die Brisanz wie der Mord am Lokator vor drei Jahren, und schon da hatte er es vorgezogen, den bequemeren Weg zu gehen. Wolter war wie ein Aal, der sich seinen Weg schlängelnd suchte und dafür auch das Wasser verließ und über Land weiterkroch. Wichtig war nur, dass es ihm und den Seinen gut ging. Jan hatte ihn nie anders erlebt.
Er erhob sich wieder und starrte hinaus. Die Luft draußen wirkte wie eine undurchdringliche grüne Suppe. Hoffentlich hatte der Wortsammler irgendwo Schutz gefunden und wurde nicht bis auf die Haut durchnässt oder gar von einem Blitz getroffen. Gewitter von dieser Heftigkeit waren an der Küste eher selten, umso bedrohlicher kam es ihm nun vor.
Als sich hinter ihm etwas regte, zuckte Jan zusammen.
Es war Garbrand.
»Guter Freund, wo kommst du her?«, fragte Jan und gleichzeitig schoss ihm durch den Kopf, was der Mönch von seinem Gespräch mit Hiske mitbekommen haben mochte.
»Ich habe alles gehört«, sagte Garbrand. Er wies mit dem Kopf in Richtung Herd. »Habe dort auf dem Schemel gesessen.«
Jan
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