Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
eilte herein, einen Krug mit dunklem Rotwein in der Hand. »Ich habe ein Fass Wein anstechen lassen, das erst gestern mit einem Handelsschiff über die Binnengewässer zu uns gekommen ist. Mal etwas anderes als Dünnbier. Oder das Gebraute, ich kann es bald nicht mehr sehen. Nun denn, heute kredenze ich Euch feinsten Roten.«
Der Arzt schenkte ein, hob den Becher und lächelte freundlich in die Runde. Auf Bente ruhte sein Blick eine Weile zu lange, Krechting erkannte das Wohlgefallen in den Augen des Arztes. Westerburgs Tochter war eine schöne junge Frau von schlanker Gestalt. Sie hatte liebreizende Gesichtszüge, die einem Mann durchaus gefallen konnten. Ihr Lachen war freundlich und zurückhaltend, dabei zeichneten sich auf ihren Wangen feine Grübchen.
»Ihr lebt allein in Emden?«, hakte Krechting nach, und Cornicius nickte. »Ich habe keine Familie, wenn Ihr das meint. Ich verbringe viel Zeit mit meinen Forschungen, und bevor Jan Valkensteyn es vorgezogen hat, sich in die Herrlichkeit Gödens aufzumachen, hat er Unterschlupf bei mir gefunden. Zwei Gelehrte unter einem Dach, die nichts Besseres zu tun haben, als sich mit Tod, Krankheit und deren Bekämpfung zu beschäftigen. Das findet wohl kaum ein Weib anziehend, zumal wir ständig merkwürdig riechen und uns mit seltsamen Dingen befassen.«
»Ich interessiere mich durchaus für solche Dinge«, ließ sich Bente vernehmen. »Wenn man mich ließe, würde ich gern Medizin studieren, aber das traut man Weibern ja nicht zu!«
Krechting entging der wütende Blick ihres Vaters nicht. Jacobus Cornicius jedoch wandte der jungen Frau seine volle Aufmerksamkeit zu. »Das finde ich höchst interessant, Ihr habt eine aufgeweckte und selbstbewusste Tochter, Pfarrer. Ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen.«
Westerburg erhob sein Glas und nickte Cornicius zu, schwieg aber. Krechting dachte, dass er Bente sicher eine Standpauke halten würde, wenn sie allein waren. Hinrich hob sein Glas ebenfalls und lenkte das Thema auf die Flüchtlinge und die sich daraus ergebenden Probleme. Das würde die Situation entspannen, und schließlich war er genau deswegen hier.
Jacobus Cornicius ging sofort darauf ein. »Die vielen Neuankömmlinge sind in der Tat ein Problem, ich fürchte die Pest, wenn es noch mehr werden. Die hygienischen Zustände sind unhaltbar, aber wem erzähle ich das? Ihr habt es auf der Burg Gödens selbst erlebt, es grenzt an ein Wunder, dass Ihr von den Seuchen verschont geblieben seid.«
»Wir haben immer mal wieder Fälle von Typhus oder Cholera«, hob Krechting an. »Und im Augenblick plagt das Marschenfieber die Alten und Kinder. Sie sterben wie die Fliegen, dagegen kann unsere Hebamme gar keine neuen Kinder auf die Welt holen.«
»Vom Marschenfieber habe ich gehört. Es war ein Grund, warum sich Jan Valkensteyn zurück auf den Weg gemacht hat. Ich sage immer wieder, dass die Menschen Diäten halten und auf die Sauberkeit achten sollen, dann bliebe uns viel erspart. Darüber schreibe ich gerade ein Buch. Ich lasse darin einen Arzt mit einem Laien reden, das ist dann auch für den einfachen Bürger, natürlich nur, wenn er des Lesens und Schreibens kundig ist, verständlich.«
»Und wenn es doch der Gotteszorn ist, wie die Papisten befürchten?«, wagte Dr. Westerburg einzuwenden. »Immerhin gibt es noch keine einheitliche Kirchenordnung, das kann Gott doch nicht hinnehmen.«
Krechting sah von einem zum anderen, vor allem, als Cornicius vehement den Kopf schüttelte. »Die Theorie der Papisten kommt immer dann zum Zuge, wenn die Menschen nicht weiterwissen oder die Obrigkeit Angst und Schrecken verbreiten will. Ich glaube nicht daran.«
»Was gedenkt Ihr gegen die Missstände zu tun?«, hakte Krechting nach.
»Ich habe sehr interessante Rezepturen mit Jan Valkensteyn entwickelt, die den Menschen in den Zeiten der Not behilflich sind. Aber wie gesagt: Wenn der Zustrom der Flüchtlinge nicht abreißt, die Stadt dann aus allen Nähten platzt, werden wir womöglich die Pest in Emden haben, und dann gnade uns Gott.« Er nahm einen Schluck Rotwein, ließ ihn im Gaumen kreisen und prostete anschließend Bente Westerburg zu, bevor er weitersprach. »Ich befrage auch immer mal wieder die Sterne, denn sie kennen das wahre Schicksal. Über Emden wird großes Unglück kommen. Die Toten werden bergeweise aus der Stadt gekarrt und verbrannt werden, das sage ich Euch. Aber kommen wir zu anderen Themen, der Abend ist noch jung und zu schade, um ihn mit traurigen
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