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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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nach Hause gekommen war, hatte Garbrand betrunken vor dem Herd gelegen, war überhaupt nicht wach zu bekommen gewesen. Das Einzige, was sie ihm entlocken konnte, war wirres Gerede. Er hatte etwas vom Hafenbecken und einer großen Armwunde gefaselt. Hiske hatte den Mönch gerüttelt und durchgeschüttelt, weil der Wortsammler spurlos verschwunden war. Das hatte er nie wieder getan, nachdem er Hiskes Kate als sein Zuhause angenommen hatte. Er verließ das Haus nur selten ohne Garbrand oder sie. Wenn, tobte er im Garten herum oder machte sich dort sogar nützlich. Der Wortsammler hatte unglaubliche Fähigkeiten entwickelt, die Kräuter und Pflanzen großzuziehen. Nicht eine davon ließ den Kopf hängen oder verdörrte, wenn er sich ihrer angenommen hatte. Hiske hatte ihn dabei beobachtet, sie wollte sein Geheimnis ergründen. So groß und stämmig er auch war, so zart ging er mit den jungen Pflanzen um. Er sprach mit ihnen, während er die Erde um sie anhäufte, sang die Lieder, die Hiske ihm beigebracht hatte und die er mühelos in ganzen Sätzen singen konnte. Es war ungewöhnlich, dass er einfach so verschwand.
    Aber auch nachdem Garbrand wieder einen klaren Kopf hatte, konnte er sich an nichts mehr erinnern. Er wusste absolut nicht, wohin der Knabe gegangen sein könnte. »Es ist mir sehr unangenehm, Hiske. Aber ich weiß nichts. Das Giftwasser hat mir mein Hirn vernebelt und mich bis in den späten Morgen schlafen lassen.« Er hatte geweint und getobt, wollte sich augenblicklich auf die Suche nach dem Jungen machen. »Er ist bestimmt auf dem Deich und beobachtet das Kommen und Gehen der See. Er kontrolliert noch immer, ob sie wiederkommt. Lass mich gehen, Hiske!« Doch er hatte dem Alkohol so heftig zugesprochen, dass er schon bei diesen Worten auf die Knie gefallen war und dabei deutlich wurde, wie unmöglich seine Suche umzusetzen war.
    »Bleib hier, Garbrand. Ich gehe los. Wenn er nicht am Schwarzen Brack ist, kann er nur an eine Stelle gegangen sein, und ich hoffe, dass ich ihn dort finde. Es muss aber jemand im Haus sein, falls er zurückkommt.«
    Hiske war sofort aufgebrochen. Sie war sicher, dass der Knabe nicht an den Deich, sondern ins Moor gegangen war. Er hatte in den letzten Tagen eine Unruhe an den Tag gelegt, die sicher mit dem Tod Friso van Heeks zu tun hatte. In solchen Augenblicken bedurfte es nur eines geringen Anlasses, um eine Überreaktion bei ihm hervorzurufen. Er verhielt sich nicht so wie andere Menschen.
    Hiske war zuerst zum Siel und zum Deich gelaufen, hatte überall gefragt, aber dem Knaben war keiner begegnet. Danach war sie geradewegs ins Moor gelaufen und, trotz der Trockenheit, teilweise bis zu den Knöcheln im Schlamm stecken geblieben. Den ganzen Tag war sie durch die Einsamkeit geirrt, hatte sich gegen riesige Mückenschwärme wehren müssen. Doch der Wortsammler war nicht auffindbar gewesen. Vermutlich war er tiefer ins Moor gegangen, hielt sich dort versteckt, gut bekannt mit den Bäumen und Büschen, den Fröschen und dem Knacken des Bodens. Wie sollte sie ihn dort ausmachen? Hiske wagte es nicht, zu weit in das Gebiet vorzudringen. Die Gefahr, sich zu verlaufen oder gar im ewigen Moor zu versinken, war groß. Am Moorsee hatte sie haltgemacht, laut gerufen und war schließlich unverrichteter Dinge wieder umgekehrt. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten, dass der Knabe von allein wieder auftauchte.
    Gestern war Anneke bei ihr aufgekreuzt, hatte plötzlich in ihrem Garten gestanden, als Hiske ihre Kräuter erntete. Sie hatte die Stirn gerunzelt, und in ihrem Blick lag nichts als Kälte. »Kann ich mich darauf verlassen, dass du schweigst?«
    »Ja, das habe ich doch längst gesagt. Was hätte ich davon, dich und die Mädchen zu verraten? Nenn mir einen Grund! Ich gehöre eurer Gemeinde nicht an, ich habe nicht euren Glauben und so auch nicht die Maßstäbe, an denen ihr gemessen werdet und ihr euch selbst messt und kasteit. Ich akzeptiere eure Regeln, aber ich lebe sie nicht. Ich verhalte mich also völlig neutral, Anneke. Bitte glaube mir und kümmere dich gut um Lina.«
    Die Marketenderin war blass gewesen, ihr setzte etwas zu, was Hiske nicht einschätzen konnte. Ihr Gesicht wirkte verhärmt, und in ihren Augen loderte jetzt Wut. Hiske konnte sich nicht vorstellen, dass es nur die Sorge war, sie könne sie und ihre Arbeit als Duuvke melden. Die Marketenderin belastete noch etwas anderes, und Hiske hoffte, dass es nicht die Sehnsucht nach Jan war, die ihr solchen Kummer

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