HISTORICAL Band 0264
Trotz der Verblüffung über den unerwarteten Besuch bewahrte sie Haltung. Nicht einmal die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. „Was führt Sie zu mir? Doch nicht etwa das Angebot, mein Land zu kaufen?“
„Großer Gott, nein“, protestierte der Earl lachend. Er fand ihre offene Art entzückend. Es würde im höchsten Grade amüsant sein, Cameron zuzuschauen, wie er sich um die Widerspenstige bemühte. „Ich war eben in der Nachbarschaft und habe unserem Freund einen Besuch abgestattet. Der Arme fühlt sich nicht wohl, doch das tut nichts zur Sache …“
„O doch!“, unterbrach ihn Miss Duncan errötend. Bei der Erwähnung des Mannes, den nie wiederzusehen sie sich geschworen hatte, war ein scharfer Ton in ihrer Stimme mitgeschwungen.
„Wie dem auch sei“, fuhr Lord Haverbrook fort, „ich dachte mir, ich könnte die Gelegenheit nutzen und mich nach Ihrem Befinden erkundigen.“
Miss Duncan schaute ihn argwöhnisch an. „Dann darf ich wohl fragen, wie es Ihrer Gattin geht?“
„Sie erfreut sich bester Gesundheit“, antwortete er und verbiss sich das Lachen über die unmissverständliche Abfuhr. „Außerdem bin ich einem Geheimnis auf der Spur. Aber ich muss sagen, diese Plätzchen und Kuchen duften köstlich …“
„Wollen Sie nicht eines versuchen?“ Blair Duncan läutete und bat die Haushälterin, Tee zu bringen, auch wenn es ihr zuwider war, dass die Gastfreundlichkeit sie dazu zwang, Seiner Lordschaft etwas anzubieten, was für die Dorfbewohner bestimmt war. Er und seinesgleichen trugen die Schuld, wenn die Leute in Glenmuir nicht genug zu essen hatten. Gab es denn überhaupt keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt? Gestern Lord Lindsay, jetzt der Earl of Haverbrook! Erwartete man von ihr, jeden Engländer zu bewirten, nur weil Weihnachten vor der Tür stand?
Dennoch war Blair eine vollendete Gastgeberin. Sie schnitt ein großes Stück vom Teekuchen ab und goss dem Gast anmutig eine Tasse Tee ein. Über den Rand ihres Tässchens beobachtete sie ihn dann, sobald er Platz genommen hatte. „Sagen Sie mir“, fuhr sie fort, jeder Zoll die Tochter des alten Laird und Herrin des Hauses, „was Sie hergeführt hat. Sie erwähnten ein Geheimnis.“
„Ich frage mich, warum wir uns noch nie in Gesellschaft begegnet sind. Von Cameron weiß ich, dass Sie uns Engländern ausweichen und jede seiner Einladungen ausgeschlagen haben.“
„Was soll daran geheimnisvoll sein, Sir? Ihr Engländer habt in Schottland nichts zu suchen“, sagte Miss Duncan und stellte die Tasse so heftig nieder, dass es klirrte.
„Sie können doch nicht annehmen, dass es Ihrer Sache nutzt, wenn Sie uns so abweisend behandeln, oder gar den Leuten, deren Wohl Ihnen so sehr am Herzen liegt?“
„Ich bezweifle, dass Unterhaltungen mit Ihnen oder der Besuch Ihrer Gesellschaften Sie und Ihresgleichen bewegen könnte, den Anspruch auf den Besitz der Connerys aufzugeben“, erwiderte Miss Duncan scharf.
„Natürlich nicht, genau wie Sie niemals Duncan House verkaufen würden. Das heißt freilich nicht, dass man mich nicht überreden könnte, etwas für die Leute der Umgebung zu tun, um ihnen das Leben zu erleichtern. Auch die anderen englischen Großgrundbesitzer würden vielleicht ähnlich reagieren.“
„Und wie haben Sie sich das vorgestellt?“, fragte Blair Duncan vorsichtig.
„Nun, Madam, wenn ich jemanden wüsste, der mir einen ehrlichen Schotten empfehlen kann, würde ich lieber eine Anzahl Einheimischer als Personal verpflichten, statt jedes Mal die Dienstboten mitzubringen. Gleiches kann ich auch von meinen Freunden annehmen. Natürlich könnte man damit das eigentliche Problem nicht aus der Welt schaffen, aber die Menschen hätten mehr zu essen, und mancher könnte im Lande bleiben, statt auszuwandern. Dann brauchten Sie sich nicht mehr um so viele den Kopf zu zerbrechen.“
„Und was sollte ich dazu tun?“, fragte Blair wider Willen.
„Sie wissen, dass wir die längste Zeit abwesend sind. Wir können nicht irgendwelchen Leuten die Sorge für unsere Häuser anvertrauen. Wir müssten sicher sein, dass jemand bereit ist, ehrliche Arbeit zu leisten, statt hinterrücks gegen uns zu rebellieren. Sie kennen die Einheimischen gut und können mit einer Empfehlung viel für sie tun. Aber dazu müssten auch die anderen englischen Grundherren mit Ihnen in Verbindung treten, und deshalb ist es nötig, dass Sie sich in Gesellschaft zeigen.“
„Ich weiß nicht recht“, antwortete Miss Duncan zweifelnd
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