HISTORICAL Band 0264
Unsicher, wie er dieses Hindernis beseitigen könne, hatte er auf Geduld und den Beweis seiner Zuneigung gesetzt. Aber es hatte nichts geholfen. Nun kannte er Blairs tiefe Verachtung. Außer Geringschätzung und heftigen Vorwürfen hatte sie nichts für ihn übrig, kein Vertrauen, nicht die Spur eines Gefühls. Das hatte sie ihm nur allzu deutlich zu verstehen gegeben. Sein Stolz war tief verletzt. Blair verhielt sich unvernünftig, wenn sie ihm diese lächerlichen Vorhaltungen machte. Denn er fühlte sich trotz allem mit Schottland verbunden, liebte es und mochte die Bewohner. Eines Tages würde sogar Blair Duncan begreifen, dass sie ihm bitter unrecht getan hatte.
Endlich schien die Luft rein zu sein. Er stand auf, klopfte sich die Strohhalme ab und hob den schweren Sack mit Äpfeln auf die Schultern. Über das Feld strebte er der Sicherheit des Waldes zu. Mit jedem Schritt trieb es ihn mehr, noch einmal zu Blair zu gehen, ihr von seinen Gefühlen für Schottland und ihre Landsleute zu sprechen, ihr zu gestehen, wohin ihn diese Zuneigung gebracht hatte. Wahrscheinlich wäre er dann in einem ganz anderen Licht erschienen. Aber er konnte ihr die Wahrheit nicht sagen. Es war viel besser, wenn Blair von seinen nächtlichen Unternehmungen nichts wusste. Trotz des guten Zweckes handelte er gegen Recht und Gesetz. Wenn sie erfuhr, dass er es war, den man den Engel der Weihnacht nannte, konnte das für sie schwerwiegende Folgen haben, sobald man ihm auf die Spur kam. Niemals würde er sie wissentlich in Gefahr bringen wollen.
Da er nicht mehr verfolgt wurde, erlaubte er sich einen unterdrückten Fluch und nieste. Selbst der schwere Wollmantel bot nicht genügend Schutz gegen die Kälte der Nacht, ebenso wenig wie englischer Charme gegen die Kälte eines schottischen Herzens. Wieder nieste er und vermutete, dass der Beutezug ihm einen Schnupfen einbringen würde. Das hatte er nun von der Narretei! Ein Sack Äpfel, aus Lord Fairfax’ Obstkeller gestohlen, war die bisher armseligste Ausbeute, die obendrein die unangenehmsten Folgen nach sich zu ziehen schien. Bei Gott, das Leben war verdammt unberechenbar!
Nach beschwerlich langem Weg erreichte Cameron endlich die verlassene Jagdhütte, in der er das Diebesgut verborgen hielt. Bald würde er die Verteilung an die Bedürftigen beginnen. Seine Laune besserte sich keineswegs, als sein Blick auf die Schachteln mit den für Blair in London geschneiderten Roben fiel. Wenn es nach ihr ging, würde sie die Kleider nie tragen. Missmutig stellte er den Sack ab. Vielleicht hatte sie ja recht, vielleicht sollte er sie wirklich besser in Ruhe lassen. Sie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Und er war nicht der Mann, der sein Leben damit verbrachte, einer Frau nachzutrauern, die sich nichts aus ihm machte.
Er zog die Tür ins Schloss und versperrte sie, als er das halb verfallene Gemäuer verließ. Er fror, und sein männlicher Stolz war verletzt. Er war sich gram und verfluchte sein Verlangen nach Blair Duncan. Er beschloss, sie zu vergessen. Natürlich hatte er sie darum gebeten, sich mit ihr aussprechen zu können, aber es würde ihr bestimmt nicht schwerfallen, über den Wortbruch hinwegzusehen. Es war wohl besser für sie beide, wenn er ihr fernblieb, dem Dorf und den Einheimischen aus dem Wege ging und Blair niemals wiedersah.
Am späten Vormittag hielt eine Karosse vor dem Portal von Duncan House, und der Earl of Haverbrook stieg aus. Er ging die wenigen Stufen hinauf und ließ den Türklopfer in Form einer Distel gegen die Messingplatte fallen. Er bemerkte, dass stellenweise die Farbe der Tür abgeblättert war, und brummte missbilligend. Mit einem neuen Anstrich und einigen Verschönerungen musste das weitläufige Anwesen einer der reizvollsten Jagdsitze für einen glücklichen Engländer sein, der das nötige Kleingeld und die Energie besaß, die bezaubernde Miss Duncan für sich zu gewinnen.
Lord Haverbrook wurde aus den Gedanken gerissen, als die Haustür von einem alten Mann geöffnet wurde. Die finstere Miene, der graue Bart und das wirre Haar ließen den Diener ziemlich grimmig erscheinen. Auf die Frage des Earl, ob Miss Duncan zu sprechen sei, wurde er mit knapper Geste zum Eintreten aufgefordert.
Im Speisezimmer war Miss Duncan damit beschäftigt, Tannenästchen und Stechpalmenzweige in einer antiken Vase zu ordnen. Auf dem Esstisch standen große Tabletts mit Teekuchen.
„Guten Tag, Mylord“, sagte sie.
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