HISTORICAL Band 0264
gleiche Tapferkeit, wie sie vor Generationen ihre Ahnen beim Marsch in die Schlacht von Culloden gezeigt hatten.
Ein Butler nahm Miss Duncan den Umhang ab. Beim Eintritt in den großartigen Ballsaal machte der Glanz sie betroffen. Hier war alles anders als in den einfachen Häusern der Menschen, die in Glenmuir geboren und aufgewachsen waren. Im Kamin loderte ein prasselndes Feuer, und riesige Kristallkandelaber tauchten den Raum in strahlende Helle. Der Unterschied zwischen dieser Pracht und der düsteren Atmosphäre von Duncan House schmerzte. Die kostspielige Ausstattung verriet Reichtum und Geschmack. Immergrüne Girlanden und Stechpalmzweige waren unter der Decke befestigt. Das Schönste stand in der entferntesten Ecke des Saales und verschlug Blair den Atem.
Es war ein hoher, gleichmäßig gewachsener und herrlich geschmückter Tannenbaum. Harzduft wehte herüber, und auf den hin und her schwingenden Zweigen brannten zahllose Kerzen. Bunt und glitzernd, weckte der Baum das in jedem Erwachsenen schlummernde Kind und Verlangen nach Zauber und Märchen, das allen Menschen gemeinsam ist.
Blair achtete nicht auf die neugierigen Blicke der Umstehenden, ging zum Weihnachtsbaum und betrachtete den Schmuck. Es gab blitzende künstliche Tannenzapfen in allen Schattierungen, vergoldete Nüsse, Marzipanobst und schwebende Engel. Bisher hatte sie nie etwas so Entzückendes gesehen, und es fiel ihr schwer, keine Ergriffenheit zu zeigen, als der Earl of Haverbrook sie begrüßen kam.
„Meine liebe Miss Duncan, ich freue mich, dass Sie hier sind! Ich sehe, Sie bewundern den Weihnachtsbaum. Das ist jetzt in England große Mode, seit der Prinzgemahl solche Bäume im Palast hat aufstellen lassen. Eigentlich handelt es sich um einen deutschen Brauch, aber dennoch ist er wirklich hübsch, finden Sie nicht? Aber ich will Sie nicht mit Beschlag belegen. Kommen Sie zu den anderen. Jeder brennt darauf, Sie kennenzulernen.“
Miss Duncan nahm seinen Arm und senkte die langen Wimpern. Das wirkte zurückhaltend und anmutig, gab ihr jedoch die Gelegenheit, verstohlen die Anwesenden zu mustern. Erleichtert stellte sie fest, dass der Earl of Lindsay tatsächlich nicht da war. Die anderen Gäste waren ihr fremd. Sobald Lord Haverbrook die allgemeine Vorstellungszeremonie beendet hatte und Miss Duncan bei einer kleinen Gruppe ließ, fiel es ihr doch schwer, darüber hinwegzusehen, dass sie hier als Ausländerin galt.
Die Engländer benahmen sich zwar höflich, aber es war offensichtlich, dass sie Blair für eine Art Sehenswürdigkeit zu halten schienen. Die schottische Aussprache betonend, antwortete sie auf die Frage eines Edelmannes und war boshaft entschlossen, der ihr zugedachten Aufgabe als schmückendes Beiwerk gerecht zu werden.
Cameron Montgomery, Earl of Lindsay, saß, die langen Beine gemütlich ausgestreckt, in einem großen Armsessel vor dem Kamin und trank hin und wieder einen Schluck Whisky. Er machte sich wenig aus Abendgesellschaften und langweilte sich. Es wäre besser gewesen, mit der Erkältung daheim zu bleiben. Warum, in aller Welt, war er Harrys Einladung gefolgt? Er blickte zu den Tischen hinüber, an denen einige Gentlemen beim Kartenspiel saßen. Es interessierte ihn nicht, sich daran zu beteiligen, ebenso wenig wie am Tanz im Ballsaal.
Er war nur zu dem Zweck hier, um nicht mit dem Treiben des geheimnisvollen Diebes in Verbindung gebracht zu werden. Wäre er dem geselligen Treiben des englischen Adels ferngeblieben, hätte er bestimmt Verdacht erregt. Früher oder später musste es auffallen, dass immer dann, wenn er bei einem gesellschaftlichen Anlass fehlte, Beutezüge stattfanden.
Das war jedoch nicht der einzige Grund, weshalb er gekommen war. Widerstrebend gestand er sich ein, dass er den Abend nicht zu Hause verbringen wollte, allein gelassen mit den Gedanken an Blair Duncan. Zum Teufel mit ihr! Nach dem Besuch in Duncan House träumte er nicht mehr von dem entzückenden, unschuldigen Geschöpf, an das er sich erinnert hatte. Er sehnte sich nach der sinnlichen jungen Frau, deren Lippen er erst vor Kurzem so leidenschaftlich geküsst hatte. Ganz gleich, wie sehr er sie zu vergessen trachtete, ihr Zauber hatte ihn derart in Bann geschlagen, dass er sich vor Verlangen nach ihr fast verzehrte.
Vielleicht war ihr Verhalten aber auch verständlich. Er hatte sich keineswegs wie ein Gentleman benommen, und bei der Erinnerung an den Kuss, den er Blair gestohlen hatte, empfand er weder Beschämung noch
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