HISTORICAL Band 0264
der Jagd nach dem Eindringling. Cameron unterdrückte eine Verwünschung und grollte sich wegen des halsbrecherischen Wagnisses, in das er sich verstrickt hatte, statt gemütlich daheim am Kaminfeuer zu sitzen und einen Whisky zu trinken. Missvergnügt fragte er sich, was er eigentlich hier zu tun hatte. Das Stroh kratzte ihn erbärmlich. Die Antwort war denkbar einfach. Es ging um Blair Duncan. Es war ihre Schuld, dass er unter diesen Umständen überhaupt unterwegs war. Zugegeben, er hatte solche Abenteuer in der Vergangenheit oft genug gewagt, in dieser Nacht jedoch nicht eingeplant. Erst die Begegnung mit Blair Duncan hatte ihn rastlos gemacht. Nur deshalb war er ausgezogen, einem anderen das Eigentum zu stehlen.
Diesmal hatte es sich freilich nicht gelohnt. Er unterdrückte einen Seufzer. Tief in die schützenden Schatten geduckt, musste er sich eingestehen, dass er keineswegs Genugtuung empfand und sein Verlangen nicht gedämpft war. Es war zu spät. Er war sich bewusst, dass nach dem Zusammentreffen mit Blair Duncan nichts ihn mehr trösten könnte. Nur sie beschäftigte seine Gedanken, nur nach ihr stand ihm der Sinn. Stattdessen versteckte er sich jetzt in einem Heuschober! Dabei hätte er ein fröhliches und geruhsames Christfest verbringen können! So jedoch würde sein Verlangen nach Blair ihn wahrscheinlich um den Verstand bringen, ehe der Weihnachtstag heraufdämmerte.
Er wurde zornig, als er an Haverbrooks Rat dachte. Fahrig schob er sich eine schwarze Locke aus der Stirn. Er war ein Narr gewesen, auf Harry zu hören. Wie ein verliebter Trottel war er zu Blair Duncan gestürzt, hatte sie verärgert und sich wie ein schwachsinniger Tölpel aufgeführt. Damit nicht genug, merkte er, gleichermaßen niedergeschlagen und wütend, dass nun auch die geringste Chance dahin war, mit Blair ins Reine zu kommen und sie nach all den Jahren wieder für sich zu gewinnen.
Es war leichter gesagt als getan, ins Horn zu stoßen und die Jagd zu beginnen. Der Fuchs hatte sich in seinen Bau zurückgezogen; der Jäger saß in einem verdammten Heuschober fest, und die Landjunker hetzten ihm die Diener auf den Hals. Selbst jetzt, da die Stimme des Verfolgers aus nächster Nähe laut wurde, machte Cameron sich mehr Gedanken, wie er es anstellen könne, einen Weg zu Blair zu finden, als Sorgen um die eigene Sicherheit.
Als Knabe hatte er Blair innig geliebt, als Mann begehrte er sie mehr als jede andere Frau. Die Zärtlichkeit, die er in der Jugend für sie empfunden hatte, ließ sich nicht mehr mit dem Gefühl des vergangenen Morgens vergleichen. Seine Regungen waren drängender, leidenschaftlicher, fordernder. Und er konnte nicht einmal etwas dagegen tun. Je mehr er sich auflehnte, desto stärker geriet er in den Wirbel der Leidenschaft. Was sollte daraus werden? Er versuchte sich einzureden, dass Blair ihm nur eine Freundin aus der Kindheit war, nicht mehr. Und selbst diese lose Beziehung schien nicht länger zu bestehen. Blairs Benehmen in der Küche von Duncan House hatte daran keinen Zweifel gelassen.
Der Verfolger hatte endlich eine andere Richtung eingeschlagen. Cameron trauerte dem verlorenen Knabentraum nach. Blair Duncan war nicht mehr das sorglose, lachende kleine Mädchen, das ihm einen festen Platz in seinem Herzen gegeben hatte. Sie war jetzt eine ernsthafte junge Frau, die beinahe alles im Leben verloren hatte und nichts mehr mit Cameron zu tun haben wollte. Seltsam, sie bedurfte keines großartigen Rahmens, um ihre Schönheit leuchten und funkeln zu lassen. Wenngleich die erwachsene Blair nicht länger vor Übermut überschäumte, so strahlte sie doch starke Sinnlichkeit aus. Und Cameron wollte der Mann sein, der den Funken ihrer Leidenschaft zur Flamme anfachte.
Sie war eine verführerische Sirene und nicht der Engel der Barmherzigkeit, der zu sein sie vorgab. Da halfen alle Gaben und Geschenkkörbe für die Armen nichts. Er wechselte die unbequeme Stellung, bemüht, keinen Lärm zu machen und seine Beute nicht umzustoßen. Wenn Blair unbedingt Gutes tun wollte, so konnte sie auch Cameron einbeziehen. Ein lüsternes Glitzern flackerte in seinen Augen bei dem Gedanken auf, was er Blair schenken würde.
Der Morgen hatte eine schmerzliche Erkenntnis gebracht. Lange war Cameron der Meinung gewesen, Blairs Widerstand gegen eine Wiederaufnahme der alten Freundschaft wurzelte in der Tatsache, dass die Duncans völlig verarmt waren und übergroßer Stolz sie dazu trieb, dem einstigen Freund auszuweichen.
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