HISTORICAL Band 0264
mich schlecht durchschaut, Mr. Kestrel, wenn Sie glauben, ich hätte das, was ich vorhin gesagt habe, nicht ernst gemeint.“ Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Im Moment waren sie ganz allein im Flur. „Sie wollen sich wegen Connies Verhalten an mir rächen, also erwägen Sie, die Spielbank zu sprengen und mich in den Ruin zu treiben. Das ist alles, was Sie wollen.“
„Sie irren.“ Jack hob die Hand und strich ihr leicht über die Wange. „Alles, was ich will, sind Sie, Sally Bowes. Ich habe Sie begehrt, seit ich Ihnen gestern Nacht zum ersten Mal begegnet bin.“
Plötzlich kam ihr die Luft stickig vor. Sally trat einen Schritt zurück und fühlte den glatten, kühlen Putz der Wand unter ihren Handflächen. Die Tatsache, dass sie sich in der Öffentlichkeit befanden, würde ihn nicht im Geringsten stören, das wusste sie. Wenn Jack Kestrel einer Frau vor dem König einen unsittlichen Antrag machen konnte, dann war er auch durchaus imstande, sie mitten auf dem Flur zu küssen, ohne sich darum zu scheren, wer ihnen dabei zusah. Ihr war heiß und schwindelig.
„Sie können nicht alles …“, begann sie, doch er ließ ihr keine Gelegenheit, den Satz zu beenden. Er beugte sich zu ihr und küsste sie. Sanft biss er in ihre Unterlippe, und glühendes Verlangen durchzuckte sie, sodass sie ihm leise aufstöhnend ihre Lippen öffnete. Da nahm er vollständig Besitz von ihrem Mund, und ihr war, als stände ihr ganzer Körper in hellen Flammen. Etwas Derartiges hatte sie noch nie zuvor erlebt.
Sie fuhren auseinander, als ein Paar den Flur entlangkam und ihnen einen neugierigen Blick zuwarf. Sally wandte das Gesicht ab. Sie hatte keine Ahnung, welche Gefühle und Emotionen sich in ihren Zügen widerspiegelten, aber sie befürchtete, man könnte ihr ihren inneren Aufruhr nur allzu deutlich ansehen. Ihr Herz klopfte stark und schnell, und sie wusste, dass sie zitterte. Jack legte ihr die Hand unter das Kinn, wie er es schon früher in ihrem Büro getan hatte, und drehte ihr Gesicht wieder dem Licht zu. Mit dem Daumen strich er über ihre Lippen, wo er sie eben noch geküsst hatte, und ihre Lust wurde so übermächtig, dass sie beinahe laut aufgestöhnt hätte.
„Sally“, murmelte er rau, „wo können wir hingehen?“
Sie verstand, was er meinte, aber der Gedanke ließ sie wieder zu Verstand kommen. „Ich kann nicht.“ Sie runzelte leicht die Stirn. Es hatte keinen Sinn, so zu tun, als reagierte sie nicht auf ihn, als begehrte sie ihn nicht ebenfalls. Das hatte ja schon ihr Verhalten bewiesen. Sie versuchte, ganz ehrlich zu sein. „Das geht mir zu schnell“, erklärte sie leise. „Ich bin solche Empfindungen nicht gewohnt. Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir …“
Sie sah, wie seine angespannte Miene sich ein wenig erhellte. „Es tut mir leid“, sagte er. „Ich habe mich hinreißen lassen …“
„Ja.“ Sally strich glättend über ihr Kleid. Ihre Bewegungen waren ruckartig, ihre Hände zitterten immer noch. „Entschuldigen Sie mich“, flüsterte sie. „Sie müssen mich jetzt bitte entschuldigen, Mr. Kestrel.“
Er hielt sie am Handgelenk fest. „Sie haben mir ein gemeinsames Abendessen versprochen“, erinnerte er sie, und der Anflug eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel. „Das war mein Preis. Sie können sich nicht davor drücken.“
Sally sah ihn an, es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. „Das muss dann aber auch alles sein.“
Er neigte kurz den Kopf. „Natürlich.“
„Und Sie müssen mir ein paar Minuten Zeit geben.“
Er nickte. „So können Sie mit Sicherheit nicht in den Speisesaal gehen.“ Ein teils zärtliches, teils befriedigtes Lächeln brachte seine Augen zum Leuchten, und Sallys Herzschlag stockte. „Sie sehen etwas … mitgenommen aus.“
Da war es wieder, dieses überwältigende Verlangen, und sie sah, dass seine Augen vor Leidenschaft ganz dunkel wurden, als er merkte, in welchem Zustand sie sich befand. Erneut streckte er die Hand nach ihr aus, doch sie riss sich los und eilte den Flur entlang zur Damentoilette. Zum Glück war niemand dort. Sally schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab und lehnte sich schwer atmend und mit geschlossenen Augen dagegen.
Was, um alles in der Welt, war nur in sie gefahren? Welche Entschuldigung konnte es dafür geben, dass sie vergessen hatte, was für eine Gefahr Jack Kestrel sowohl für ihre Tugend als auch für ihre Existenz darstellte? Dafür, dass sie sich von ihm hatte küssen lassen und darauf auch noch
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