HISTORICAL Band 0264
„Ausgerechnet er, bei dem Ruf, den er hat! Ich werde ihm sagen, er soll sich nicht so aufgeblasen verhalten!“ Sie sah ihren Gast prüfend an. „Ich hoffe, er hat Sie nicht zu sehr verärgert? Er kann schrecklich unhöflich sein.“
„O ja, das kann er.“ Sally spielte nachdenklich mit ihrem Teelöffel. „Aber ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“
„Nun, wenn es um Jack geht, bin ich mir da nicht so sicher“, gab Charley zu bedenken. „Er ist so furchtbar selbstherrlich. Manchmal denke ich, er ist im falschen Jahrhundert geboren. Er benimmt sich wie ein Draufgänger aus dem achtzehnten Jahrhundert …“ Sie verstummte und machte große Augen, als Sallys Wangen zu glühen begannen. „Lieber Gott, habe ich etwas Taktloses gesagt? Ich bitte um Verzeihung!“
„Nein, natürlich nicht.“ Neue Freundin hin oder her, aber über Jacks draufgängerische Art konnte Sally unmöglich mit seiner Schwester reden.
Charley reichte ihr eine Platte mit winzigen Gurkensandwichs und Apfelküchlein. Sally griff herzhaft zu und merkte plötzlich, wie müde und hungrig sie war. Beim Mittagessen hatte sie nicht viel zu sich genommen, Jacks Gegenwart hatte sie zu nervös gemacht.
„Jedenfalls wäre es töricht, wenn Sie und Jack heute Abend noch nach Gretna Green aufbrechen würden.“ Ein Grübchen bildete sich auf ihrer Wange. „Vor allem mit dem Lanchester, der ja ein prachtvolles Gefährt sein mag, aber es würde Tage dauern, bis Sie nach Birmingham kämen, von Gretna ganz zu schweigen! Ich schlage vor, ich lasse jetzt einen Lakaien Ihr Gepäck holen, dann ist Ihre Übernachtung hier ein fait accompli . Ich werde Jack sagen, das sei beschlossene Sache.“ Als Sally anfangen wollte zu protestieren, winkte Charley ab. „Ich kann Ihnen etwas zum Anziehen leihen, also ist das kein Problem für Sie, Sally. Und Jack werde ich schon überreden, warten Sie nur ab!“
Sally sah hinab auf ihre Hände. „Sie sind sehr freundlich, Charley, aber ich glaube, Mr. Kestrel möchte nicht, dass ich …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „Ich möchte mich Ihnen bei Ihrer Familienfeier nicht aufdrängen. Mr. Kestrel und ich kennen uns wirklich nur ganz oberflächlich …“
„Das sagten Sie bereits.“ Charleys Miene wirkte skeptisch. „Mir kam das allerdings ganz anders vor, als ich gemerkt habe, wie Jack Sie angesehen hat. Und sein Blick, als Gregory Ihre Hand gehalten hat … meine Güte, ich dachte schon, er wollte Greg Ihretwegen zum Duell fordern, und die beiden kennen sich seit Jahren! Ich bin aus allen Wolken gefallen!“
Sally errötete. „Lord Holt ist ein alter Freund meiner Familie“, erklärte sie vorsichtig. „Und als solcher glaubt er zweifellos, einige Rechte zu haben.“
„Nun, da war Jack wohl anderer Meinung“, erwiderte Charley vergnügt. „Ich dachte, er würde ihm einen Kinnhaken versetzen!“
„Ich versichere Ihnen, Sie irren sich“, wehrte Sally hastig ab. „Mr. Kestrel und ich sind wegen dieser Geschichte mit Connie böse aneinandergeraten, zwischen uns herrscht eigentlich nur Feindseligkeit. Dass Lord Holt ein Freund von mir ist, dürfte ihm ziemlich gleichgültig sein.“
„Wenn Sie das sagen“, meinte Charley, aber es war ihr anzusehen, dass sie Sally nicht glaubte. „Sollten Sie Jack wirklich nicht besonders mögen, so kann ich Ihnen das nicht verübeln. Er ist schrecklich arrogant und anmaßend. Ich werde dafür sorgen, dass Sie beim Abendessen möglichst weit auseinander sitzen.“ Sie griff nach Sallys Hand. „Ach bitte, bleiben Sie, Sally! Das Wochenende würde mir viel mehr Spaß machen, wenn Sie dabei wären! Ich mag Sie sehr!“
Angesichts solch argloser Freundschaft konnte Sally einfach nicht ablehnen. „Ich bleibe sehr gern über Nacht, Charley“, sagte sie lächelnd. „Aber dann müssen Mr. Kestrel und ich wirklich überlegen, wie wir Connie und Bertie finden. Allerdings könnte es für Sie schwierig werden, Mr. Kestrel zum Bleiben zu überreden. Sobald Sie Ihre Großtante Ottoline erwähnten, wurde er sichtlich blass.“
Charley lachte. „Ach, Tante Otto – so wird sie von uns genannt – ist ganz vernarrt in Jack. Sie ist fest entschlossen, ihn unter die Haube zu bringen, und ich sage Ihnen, sie ist über alle Maßen willensstark!“
„Da ist sie wohl nicht die Einzige in dieser Familie“, murmelte Sally.
Sie begaben sich wieder in die Eingangshalle. Jack und Stephen Harrington kamen soeben aus der Bibliothek. Sally fand, dass Jack etwas weniger
Weitere Kostenlose Bücher