Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
HISTORICAL Band 0264

HISTORICAL Band 0264

Titel: HISTORICAL Band 0264 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: NICOLA CORNICK
Vom Netzwerk:
würde es nicht zulassen. Er würde Sally zu seinen eigenen Bedingungen bei sich behalten, aber sein Herz fest vor ihr verschließen. Sie musste die geldgierige Abenteurerin sein, auf die ihn Churchward aufmerksam gemacht hatte.
    Er nahm sich eine von Stephens Zeitungen und flüchtete damit in die Bibliothek. Dort war es still, die frühe Morgensonne malte Lichttupfer auf den Teppich. Einer der Labradore döste dort; er hob kurz den Kopf, als Jack an ihm vorbeiging, und ließ ihn dann mit einem Grunzen wieder sinken, als Jack sich in einen Sessel setzte. Im großen Salon trugen die Bediensteten ein gigantisches Frühstück auf, doch niemand durfte essen, solange Tante Otto nicht anwesend war. Wahrscheinlich lag sie noch im Bett und nahm dort genüsslich heiße Schokolade und Toast zu sich. Jack staunte immer, wie jemand so viel essen konnte wie seine Tante und trotzdem so spindeldürr blieb. Sie hatte einen Appetit wie ein Wolf, und allmählich dachte Jack, dass ihre viel zitierte Gebrechlichkeit nur eine List von ihr war, ihren eigenen Willen durchzusetzen. Auf jeden Fall funktionierte es. Er konnte sich vorstellen, dass Sally in fünfzig Jahren genauso war, immer noch schön, immer noch willensstark und eifrig damit beschäftigt, die jüngeren Generationen zu schikanieren. Er ertappte sich dabei, wie er bei diesem Gedanken versonnen vor sich hin lächelte, und hörte schlagartig damit auf. Sein Verstand war an diesem Morgen eindeutig etwas mitgenommen. Noch nie hatte er in einer Beziehung so weit in die Zukunft gedacht, nicht einmal mit Merle.
    Er stutzte. Wann hatte er angefangen, in der hastig arrangierten, vorgetäuschten Verlobung mit Sally etwas Dauerhafteres zu sehen? Fast hatte er vergessen, dass das nur ein Zustand auf Zeit war. Noch beunruhigender war, dass seine Familie Sally ins Herz geschlossen hatte, sogar Tante Otto, die bekanntermaßen äußerst schwer zufriedenzustellen war. Auch Gregory Holts Loyalität besaß sie – nein, seine Liebe, wie Jack sich zähneknirschend verbesserte. Eine Liebe, die so groß war, dass er bereit war, wie ein Bruder für sie zu sein, um sie zu beschützen, obwohl er eindeutig eine andere Art Beziehung zu ihr wünschte. Trotzdem weigerte sie sich, Holts Zuneigung auszunutzen. Aber vielleicht hielt sie ja nach einer besseren Partie Ausschau, nach jemandem, der eines Tages ein Herzogtum erbte. Das würde sich herausstellen, falls sie Jack tatsächlich wegen Bruchs des Eheversprechens anklagte, sobald sie die vorgetäuschte Verlobung aufgelöst hatten. Dann würde sie ihr wahres Gesicht zeigen.
    Er konnte sich durchaus vorstellen, dass es dazu kam. Das wäre nur der nächste logische Schritt der Bowes-Schwestern auf ihrem Weg, sich zu bereichern.
    Dennoch blieben ihm Zweifel.
    Jack schlug die Zeitung auf und versuchte, sich mit den Nachrichten abzulenken.
    Seinem Geschäftsfreund Robert Pelterie war ein meilenlanger Flug mit einem Eindecker gelungen. Eine erfreuliche Neuigkeit, denn Jack hatte ihn finanziell schon ein paar Mal bei seiner Arbeit unterstützt. Andere Artikel schilderten die letzten Vorbereitungen für die Olympischen Spiele, die im kommenden Monat im White City Stadion in London eröffnet werden sollten. Ganz unten auf der dritten Seite stand ein bedrückender Bericht über die erbärmlichen Zustände, die im Holloway Gefängnis für die Suffragetten herrschten:
    Die Zeit scheint im Gefängnis stillzustehen. Nie dringt das Sonnenlicht durch die düsteren Mauern … jeder Tag vergeht ereignislos und eintönig. Man wird fast zu müde, um hinaus in den Gefängnishof zu gehen, doch gleichzei tig verzehrt man sich nach frischer Luft …
    Es gab auch eine Auflistung der Suffragetten, die verhaftet worden waren, nachdem sie, in einem Lastwagen versteckt, versucht hatten, ins Unterhaus zu gelangen. Jack überflog die Liste beiläufig, doch als er den Namen Petronella Bowes entdeckte, stutzte er. Er erinnerte sich, dass Sally den Namen erwähnt hatte, als sie gemeinsam zu Abend gegessen hatten. Sie hatte erzählt, wie elend Nell lebte, ohne Geld für Lebensmittel und Medizin, ständig bedroht von möglicher Verhaftung oder Ordnungsstrafen. Zum Glück war sie aber offenbar recht schnell wieder entlassen worden, wie er weiterlas.
    Der Frühstücksgong ertönte. Jack las den Artikel noch zu Ende, dann legte er die Zeitung weg und verließ die Bibliothek. Die anderen hatten sich schon alle im Frühstücksraum eingefunden; Jack hörte ihre Stimmen, übertönt vom

Weitere Kostenlose Bücher