HISTORICAL Band 0264
gesagt, dass Ihre Schwester so anders ist als Sie“, raunte Jack Sally zu.
„Connie war nicht immer so“, erwiderte Sally seufzend. „Vor ihrer unglücklichen Liebesgeschichte mit John Pettifer war sie ein reizendes Mädchen.“ Sie sah ihn an. „Ich habe versucht, Ihnen das zu erklären, Mr. Kestrel, aber wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie kein Interesse daran, mir zuzuhören.“
„ Touché “, gab Jack zu. „Ich finde, wir haben eine ganze Menge zu besprechen, Miss Bowes.“ Er wies zur Tür. „Wollen wir ein Stück spazieren gehen?“
„Ich möchte nichts mit Ihnen besprechen“, teilte Sally ihm kalt mit. Sie sehnte sich nur nach Ruhe und einer stillen Ecke, in der sie sich vor Connie verstecken konnte. Trübsinnig dachte sie, dass sie ihrer Schwester eigentlich dankbar sein sollte, deren argloses Plappern so unmissverständlich den Wahrheitsgehalt all dessen bestätigt hatte, was sie zu Jack gesagt hatte. Sie war jedoch zu verletzt und erschöpft, um das zu schätzen zu wissen.
Jack zog ihre Hand durch seinen Arm und führte sie hinaus auf die Terrasse. „Zu schade, meine Liebe, denn ich muss ganz dringend mit Ihnen reden.“
Sie schwiegen, bis sie ein gutes Stück vom Haus entfernt waren. Sie überquerten den Burggraben und liefen bis zum Wald, wo riesige Kiefern und Mammutbäume ihre Schatten warfen und die Luft würzig nach Kiefernnadeln duftete. Es war warm und still um sie herum, aber Sally fühlte sich nicht besonders friedvoll. Ohne Zweifel richtete Connie gerade weitere vernichtende Schäden an, Lady Ottoline stand sicher kurz vor einem Herzinfarkt, und Jacks Miene war so unnachgiebig, dass Sally ganz verzagt zumute wurde.
„Ich denke, Sie schulden mir eine Erklärung“, brach er sanft das Schweigen.
Ihre überstrapazierten Nerven gingen mit ihr durch. „Ach, tatsächlich!“, brauste sie auf. „Nun, ich finde eher, Sie schulden mir eine Entschuldigung!“
Jack nickte. „Das auch“, stimmte er gutmütig zu. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und drehte sich zu ihr um. Sallys Herz klopfte schneller. „Zuerst möchte ich wissen, warum Sie mir nicht gesagt haben, dass Sie die zweihundert Pfund für Ihre Schwester Nell brauchten. Sie ließen mich in dem Glauben, Sie verkauften Ihre eigene Tugend …“
„Ich habe Sie in gar keinem Glauben gelassen“, unterbrach sie ihn. Sie war zornig, weil er versuchte, ihr die Schuld für seine Fehleinschätzungen zuzuschieben, anstatt sich höflich bei ihr zu entschuldigen. „Sie hatten sich doch längst fest in den Kopf gesetzt, ich könnte nur käuflich und raffgierig sein. Ich habe weiß Gott versucht, die Dinge richtigzustellen, aber Sie zogen es vor, mir nicht zuzuhören.“
Jack fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Aber wenn Sie mir die Wahrheit gesagt hätten, wäre ich imstande gewesen, Ihnen zu helfen!“
„Sie waren nicht in der Stimmung zu helfen“, wehrte sie ab. „Außerdem kannte ich Sie kaum. Ich hatte nicht vor, einen Mann um ein Darlehen zu bitten, den ich erst seit zwei Tagen kannte.“
„Sie kannten mich gut genug, um mit mir zu schlafen, obwohl wir uns erst zwei Tage zuvor kennengelernt hatten“, hielt er dagegen, und seine Augen wurden schmal. „Anstatt mich also um ein Darlehen zu bitten, ließen Sie mich in dem Glauben, Sie wären eine habgierige Hexe, die ihre Unschuld verkauft hatte.“
Sally zuckte die Achseln und tat, als machte ihr das nichts aus. „Sie haben das Geld angeboten.“
„Also nahmen Sie es an.“
„Sie hatten bereits eine so schlechte Meinung von mir, dass ich mir dachte, darauf käme es nun auch nicht mehr an.“
Jack schüttelte den Kopf. „Wofür brauchte Nell die zweihundert Pfund?“
Sie drehte sich zur Seite, damit er nicht ihr Gesicht sehen konnte. Zu sehr hatte er sie verletzt, als dass sie ihm offen ihre Gefühle zeigen und ihm erklären konnte, wie verzweifelt sie ihrer Schwester hatte helfen wollen. „Sie brauchte das Geld für Essen, die Miete und Medizin“, sagte sie. „Die Geldstrafen haben sie finanziell ruiniert, und viele ihrer Freundinnen sitzen im Gefängnis, daher kümmert sie sich auch um deren Kinder. Sie sind alle krank, haben Fieber …“ Ihre Stimme brach, und sie schlug sich die Hände vor das Gesicht. Dann ließ sie sie wieder sinken und sah ihn aufgebracht an. „Dafür brauchte sie es.“
„Also haben Sie ihr das Geld gleich zugeschickt, noch ehe wir London verließen?“, fragte Jack.
„Ich …“ Sally zögerte, aber sie wusste,
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