HISTORICAL Band 0264
definitiv mehr Kinder!“
Charley fing Sallys Blick auf und verdrehte die Augen. Sally trank einen Schluck Tee, um ihr Lächeln zu verbergen. Es war so angenehm und tröstlich, hier am Teich in der warmen Nachmittagssonne zu sitzen. Fast konnte sie dabei vergessen, dass ihre Verlobung mit Jack nur vorgetäuscht war und ohnehin bald endete und dass sie ganz gewiss niemals Kinder mit ihm haben würden, jetzt nicht und auch später nicht. Gut tat es auch, eins von Charleys Teekleidern anzuhaben, unter denen man kein einengendes Korsett zu tragen brauchte. Sie fielen locker und fließend und waren herrlich luftig an einem heißen Tag wie diesem.
„Ich rechne damit, dass Jack schon bald einen Landsitz für Sie beide erwerben wird“, wandte Lady Ottoline sich nun an Sally. „Natürlich werden ihm eines Tages sowohl Saltires als auch Kestrel Court in Suffolk gehören, aber ich sage immer, ein Mann kann gar nicht genug Ländereien besitzen. Und Jack hat wenigstens das entsprechende Einkommen, sie zu unterhalten.“
„Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen, Mylady“, gab Sally ehrlich zu und wünschte, die alte Dame würde mit all ihren Fragen zu ihrer vermeintlichen Zukunft aufhören.
„Sie scheinen ja überhaupt noch gar nichts besprochen zu haben!“, stellte Lady Ottoline empört fest. „Die jungen Leute gehen ihre Planungen heutzutage bemerkenswert lasch an!“
Charley machte den Mund auf, um Sally erneut beizustehen, aber plötzlich ertönte ein Schrei vom Teich her, wo das Kindermädchen auf Lucy aufpasste. Sie drehten sich alle um. Das Kindermädchen schrie und lief hilflos das Teichufer entlang. Von Lucy war nichts weiter zu sehen als ihr kleiner Hut, der auf dem Wasser schwamm.
„Lucy!“ Entsetzt sprang Charley auf. Die Tasse fiel aus ihrer Hand und zerschellte am Boden. „Sie muss vom Steg ins tiefe Wasser gefallen sein! Was sollen wir bloß tun? Ich kann nicht schwimmen!“
Sally zögerte keine Sekunde und rannte bereits auf den Teich zu. Sie hatte nur ein einziges Bild vor Augen – einen heißer Junitag am Fluss Isis vor all den vielen Jahren und ihren Vater, der im Kahn das Gleichgewicht verlor, hintenüber kippte und dann langsam, schrecklich langsam ins Wasser fiel. Sie hatte erwartet, dass er wieder auftauchte und ans Ufer schwamm, aber nach mehreren verzweifelten Minuten war immer noch nichts geschehen. Sie hatte ihn nie wieder lebend gesehen.
Das war ihr Fehler gewesen – nichts zu unternehmen, sondern nur abzuwarten. Sie hatte sich vorgeworfen, ihn im Stich gelassen zu haben, und seitdem eine panische Angst vor dem Wasser gehabt. Aber diese Angst durfte sie jetzt nicht lähmen.
Sally spürte die warmen Planken des Stegs durch die dünnen Sohlen ihrer Pantoletten. Das Mädchen hatte zu schreien aufgehört und lief den Rasenhang zum Haus hinauf. Charlotte war bereits in den Stallungen verschwunden, um von dort Hilfe zu holen.
Sally rannte bis ans Ende des Stegs und sprang. Das Wasser war tiefer, als sie gedacht hatte, und schlug für einen entsetzlichen Moment über ihrem Kopf zusammen, ehe sie wieder auftauchte und nach Luft schnappte. Es war sehr kalt und voller Algen und Schlamm. Das schöne, luftige Kleid hatte sich sofort vollgesogen und wickelte sich hinderlich um Sallys Beine.
Sie holte tief Luft, tauchte unter und sah mit einer Mischung aus Erleichterung und Furcht Lucys erschreckend reglosen Körper zwischen den Pfosten des Stegs treiben. Sie schwamm hin und packte das Kind, wobei sie hoffte und betete, dass Lucy nicht zu viel Wasser geschluckt oder beim Fallen mit dem Kopf an der Stegkante aufgeschlagen war. Der Körper des Kindes war schwer und drohte ihr aus den Händen zu gleiten. Sallys Arme schmerzten, als sie krampfhaft versuchte, die Kleine über Wasser zu halten.
Jetzt kamen Leute den Rasenhang hinuntergelaufen; einer der Stallburschen mit einer Leiter, ein anderer mit einem Seil. Allen anderen voraus rannte Jack. Im Laufen zog er die Jacke aus, ließ sie auf den Rasen fallen und hechtete ins Wasser. Er nahm Sally seine Nichte ab und hob sie hoch zu den ausgestreckten Armen der Stallburschen.
Sally merkte, dass sie mit dem Kleid an irgendetwas hängen geblieben war, und mühte sich vergeblich ab, sich zu befreien. Dabei schluckte sie einen Schwall des trüben Wassers. Plötzlich fühlten sich ihre Glieder bleischwer an, ihre Schultern schmerzten, und das Kleid schien sie immer weiter nach unten zu ziehen. Sie ruderte mit den Armen, griff nach dem Seil, das
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