HISTORICAL Band 0264
geschrieben. „Vielleicht haben wir für den ersten Tag schon zu viel geredet“, sagte er, bemüht, nichts von seiner Bestürzung zu verraten. „Es ist besser, wenn ich jetzt aufbreche. Aber wir werden uns aussprechen. Wir müssen es.“
„Gehen Sie! Sofort!“ Miss Duncan wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Und du willst mir nichts sagen?“, fragte er, unfähig, sich zu entfernen, bevor ein altes Ritual vollzogen war.
„Was?“, erkundigte sie sich argwöhnisch.
„Das Hochlandlebewohl. Nie habe ich dieses Haus verlassen, ohne dass du es mir mitgegeben hättest.“
Sie schwieg, und sanft legte der Earl ihr die Hand auf den Arm. „Ich kann es heute noch auswendig, und ich habe auch nicht vergessen, wie aufrichtig deine Stimme früher klang, wenn du die Worte sprachst. Heißt es nicht: ‚Wie schön wäre es, kämst du erst jetzt, statt schon Abschied zu nehmen?‘ Willst du es mir nicht sagen, Blair?“
„Nur wenn Sie wollen, dass ich lüge, Sir“, antwortete sie schroff. Die Tränen stiegen ihr in die Augen und rannen ihr über die Wangen. Er hatte eine Erinnerung erweckt an eine Beziehung, für die es keinen Platz mehr in ihrem Leben gab.
„Gut, lassen wir das. Ich möchte nicht, dass du mich jemals belügst. Du nicht.“ Lord Lindsay wollte sie beruhigen, sie nicht noch mehr aus der Fassung bringen. Er beugte sich über Miss Duncan, um sie auf die Stirn zu küssen. Doch die Berührung ließ ihn sehr schnell vergessen, dass es nur eine brüderliche Geste des Trostes sein sollte. Unfähig, sich von Blair zu lösen, suchte er ihren Mund. Der Kuss verriet sehr beredt die Leidenschaft und das Verlangen, die er nicht in Worten hatte ausdrücken dürfen. Dennoch befriedigte es ihn nicht, seinem Herzen nur mit einem Kuss Erleichterung zu verschaffen. Erregt und entflammt, begehrte er Blair nun mit aller Leidenschaft und rückhaltlos. Wider Willen riss er sich von ihr los und schaute sie fest an.
Überwältigt von den Empfindungen, die sein Kuss hervorgerufen hatte, erwiderte sie betroffen seinen Blick.
Es schien, als wolle er sie etwas fragen, doch dann wandte er sich ab, und der Bann war gebrochen.
Nachdem Lord Lindsay gegangen war, wirkte das einsame alte Haus doppelt so leer.
3. KAPITEL
„Seit ich aus Glenmuir zurück bin, haben Sie nichts getan, als herumzuzappeln und zu seufzen. Was ist denn in Sie gefahren, Miss?“, fragte Mrs. Brown und verschloss den letzten Topf Marmelade. Für die sonst so beherrschte Blair Duncan war es äußerst ungewöhnlich, so rastlos zu sein.
„Nichts. Ich bin nur ein wenig müde“, murmelte Blair und schlug die Augen nieder, während sie das Gefäß auf ein Tablett stellte. „Ich habe die ganze Nacht kaum geschlafen, weil ich dauernd an die Weihnachtskörbe denken musste und an …“
„Wenn Sie kein Auge zugetan hätten, wären Sie nicht so voll überschüssiger Energie“, stellte die Haushälterin argwöhnisch fest und beäugte die Miss, die angelegentlich damit beschäftigt war, die Gläser auf dem Tablett hin und her zu schieben.
Blair fühlte den forschenden Blick der Frau auf sich. Seit dem Tode des Laird und der Entlassung der meisten Dienstboten war der Haushalt zusammengeschrumpft, aber alles verlief in geregelten Bahnen. Auch wenn Blair kein überschüssiges Geld besaß, lebte sie mit den Angestellten doch in einer Atmosphäre der Wärme, Aufrichtigkeit und Zuneigung. Bis jetzt war sie immer offen und ehrlich gewesen, aber nun fiel es ihr schwer, die Geschichte des unerwarteten Besuchers zu gestehen. Sie fühlte sich schuldig, dass sie Mrs. Brown etwas verbarg, selbst wenn Verschweigen nicht gerade eine Lüge bedeutete. Sie gehörte zu jenen Menschen, die gewöhnlich sagten, was sie dachten. Das Erscheinen des Earl of Lindsay hatte die Lage jäh verändert. Um sich von den quälenden Gewissensbissen abzulenken, trug Blair rasch das Tablett mit den Marmeladentöpfen ins Speisezimmer und stellte es auf den großen Esstisch, mitten unter die Schätze, die sie für die Ärmsten der Armen gesammelt hatte. So entging sie zwar der kritischen Aufmerksamkeit der Wirtschafterin, doch nicht dem inneren Aufruhr.
Noch jetzt, Stunden nachdem Lord Lindsay gegangen war, brannte ihr sein Kuss auf den Lippen, als hätte sie ihn eben erst bekommen. Die Kälte im ungeheizten Speisezimmer konnte die Flamme nicht löschen, die Camerons Mund entfacht hatte. Blair mochte es drehen und wenden, wie sie mochte, Cameron, Earl of Lindsay, ging ihr einfach nicht
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