HISTORICAL Band 0272
Susannas Schulter nahm und von ihr zurückwich. Mürrisch setzte er sich auf die innere Mauer und stieg über die Holzkiste ab. Dann klopfte er demonstrativ seine Hose sauber, aber James schob ihn zur Seite.
„Komm, meine Liebe“, sagte James zu Susanna und streckte die Arme nach ihr aus. Sie runzelte die Stirn, erlaubte ihm aber, ihr hinunterzuhelfen. Er packte sie bei der Taille, zog sie an sich und hob sie aufs Dach. Langsam stellte er sie auf die Beine. Sie sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Hatte sie sich gefürchtet? Er wusste es nicht zu sagen.
„Ich war nicht in Gefahr, James“, meinte Susanna ruhig, aber mit unnatürlich hoher Stimme. „Ich habe keine Höhenangst.“
„Das glaube ich dir gerne. Aber ich hatte Angst. Hast du dir eigentlich überlegt, wie alt diese Mauern sind? Sie hätten unter dir zusammenbrechen können! Ich hätte fast einen Herzschlag bekommen, als ich dich so sah!“ Noch immer raste sein Herz vor Angst, die er um sie gehabt hatte.
Susanna nahm ihre Hände von James’ Schultern und schob ihn sanft von sich. „Wirklich, es geht mir gut. Ich kann selbst auf mich aufpassen.“
Miranda, die es nicht leiden konnte, ignoriert zu werden, quengelte, bis Broderick Fowler ihr die Holzkiste hinüberschob und ihr beim Abstieg half.
Widerwillig lockerte James den Griff um Susannas Taille. „Mir aber geht es nicht gut“, meinte er. „Ich muss dich unbedingt unter vier Augen sprechen. So bald wie möglich“, fügte er leise hinzu.
Als sie wenig später die enge Wendeltreppe hinuntergingen, bestand James zu Susannas Überraschung darauf, dass ihre Gäste vorangingen.
Erst am späten Nachmittag kamen sie wieder in Drevers an. Die Besucher entschuldigten sich und zogen sich in ihre jeweiligen Räumlichkeiten zurück, um sich vor dem Abendessen noch etwas auszuruhen.
James ging mit Susanna zur Bibliothek und zog die Tür hinter ihnen ins Schloss.
Sie ließ sich in einem der Sessel nieder und blickte ihn erwartungsvoll an. James schritt schweigend auf und ab. Womit sollte er beginnen? Was konnte er ihr erzählen? Sollte er zugeben, dass es sich nur um seine Schlussfolgerungen handelte, oder sollte er behaupten, es wären Fakten?
„Komm zur Sache, James“, sagte sie schließlich. „Ich bin müde. Ich möchte mich vor dem Abendessen noch etwas hinlegen.“
„Susanna, ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll – aber ich vertraue den beiden nicht. Mehr noch, ich glaube, sie sind aus ganz anderen Gründen hier, als sie behaupten. Ich bezweifle, dass Miranda in London wirklich in Gefahr war. Mr. Durston hat den Anschlag auf dich und deinen Vater nur als Vorwand benutzt, um sie nach Drevers zu schicken.“
„Warum diese Verdächtigungen?“
„Um herauszubekommen, ob ich mit meiner Vermutung über die Abmachung zwischen Mr. Colin und ihm recht habe. Möglicherweise hat Mr. Colin deinen Vater auf eigene Faust betrogen. Aber wir sollten auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er auf Mr. Durstons Anweisungen hin die Bücher gefälscht hat. Einer genaueren Prüfung können die Zahlen doch überhaupt nicht standhalten.“ James erklärte ihr, was er anhand der Haushaltsbücher und ihrer Randbemerkungen herausgefunden hatte.
„Der Verwalter, Mr. Colin, hat direkt mit Mr. Durston in Kontakt gestanden, nicht aber mit deinem Vater. Ich gebe zu, ich könnte mich irren. Aber meiner Meinung nach müssen wir deinen Vater unbedingt davon in Kenntnis setzen, dass die Möglichkeit besteht, dass sein Partner ihn seit Jahren betrügt. Meinst du nicht? Und wir sollten uns der Spione entledigen, die Mr. Durston hierhergeschickt hat. Bist du einverstanden, Susanna?“, fragte er.
Nachdenklich hatte Susanna einen Ellenbogen auf die Sessellehne gestützt. Mit einem Finger tippte sie an ihr Kinn und überlegte. Dann straffte sie sich und blickte ihren Mann an. „James – das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Mr. Durston unredlich ist. Warum sollte er etwas unterschlagen? Er ist kein armer Mann, ganz im Gegenteil: Als Vater ihn kennenlernte, hatte er gerade an der Börse ein Vermögen gemacht.“
„Auch mein Vater war ein reicher Mann“, meinte James düster. „Aber Reichtum ist flüchtig, Susanna. Manchmal macht man die falschen Investitionen. Es gibt so viele Möglichkeiten, ein Vermögen von einem Augenblick zum anderen in den Sand zu setzen. Wie lange ist dein Vater schon mit Mr. Durston im Geschäft?“
Susanna überlegte.
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