HISTORICAL Band 0272
moralischer Verworfenheit reinwaschen. Daraus ziehe ich den Schluss, dass dieser Fehltritt ein höchst gewinnträchtiger war.“
„Gerieten Sie je in Versuchung, Nachforschungen über diese Base anzustellen? Wenn jemand damit Erfolg haben könnte, halte ich Sie für die geeignete Person.“
„Damit mögen Sie recht haben.“ Jack lächelte träge. „Der Letzte, der Margery erwähnte, war mein gottloser Vetter Theophilus. Aber er bezeichnete mich zu dieser Zeit als Kind, was bei mir eine gewisse Irritation auslöste. Kein Wunder, immerhin war ich da achtundzwanzig.“
„Theophilus ? Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass ein Mann namens Theophilus gottlos sein könnte.“
„Er ist mehr oder weniger dazu bestimmt, entweder extrem tugendhaft oder extrem lasterhaft zu sein, der arme Theo. Sein Vater ist nämlich anglikanischer Bischof und seine Mutter die scheinheiligste Person, die man sich vorstellen könnte.“
Theo schien ein ziemlich amüsanter Zeitgenosse zu sein. Eva hätte gern einige von Jacks Verwandten näher kennengelernt. „Sie sind immer noch achtundzwanzig?“ Er sah älter aus, fand Eva. Sie hatte ihn auf etwa dreißig geschätzt, was vermutlich an seinem ernsten, stets wachsamen Blick lag. Oder an seiner Ausstrahlung, die ihn kompetent und verantwortungsbewusst erscheinen ließ.
„Neunundzwanzig, ich hatte kürzlich Geburtstag.“
„Herzlichen Glückwunsch! Haben Sie mit ihren Geschwistern und ihren Vettern und Cousinen gefeiert?“
„Ich verbrachte meinen Geburtstag auf dem Weg nach Maubourg.“ Offenbar bemerkte er ihr Stirnrunzeln, denn er fuhr fort: „Geburtstagsfeiern sind nicht nach meinem Geschmack, wahrscheinlich bin ich einfach nur nicht daran gewöhnt. Mein Vater fand Feste dieser Art für uns Kinder überflüssig.“
„Das ist aber schade“,sagte Eva mit leiser Wehmut. Am liebsten hätte sie hinzugefügt: „Armer, kleiner Junge.“ Mittlerweile war er zwar kein kleiner Junge mehr, aber jeder Mensch, davon war sie überzeugt, sollte eine glückliche Erinnerung an seine Kindheit haben. Ihr war der Gedanke an ihre eigene, die unbeschwert gewesen war, stets präsent wie eine Kerzenflamme, die ihre Seele in schweren Zeiten wärmte. Ein Mann, der seinem Kind kein Geburtstagsfest gönnte, war vermutlich auch in anderer Hinsicht kein liebevoller Vater.
„Ich gebe wundervolle Feiern für Kinder und Erwachsene. Freddie hat im Dezember Geburtstag, und ich lade Sie herzlich dazu ein.“ Sie versuchte sich auszumalen, wie Jack sich an den albernen Gesellschaftsspielen beteiligte, die sie erfunden hatte, was ihr aber nicht recht gelingen wollte. Er besaß zwar einen gewissen Sinn für Humor, und er würde sicher auch nicht befürchten müssen, seine Würde zu verlieren, aber er wirkte nun einmal einsam und distanziert. Sie fragte sich, ob ihn noch etwas anderes bedrückte, nicht nur ein Vater, der seinen Kindern wenig Freude geschenkt hatte. Jack wäre gewiss entrüstet, wenn er wüsste, dass sie ihn bedauerte, da er sich in den letzten Jahren einen Panzer aus Stolz zugelegt hatte.
„Ich bin solche Festivitäten nicht gewöhnt, aber Ihre Einladung ehrt mich.“ Jack machte die Andeutung einer Verneigung.
„Dann haben Sie keine Nichten und Neffen?“ Kinder würden ihn mögen, befand Eva. Er würde sie nicht herablassend behandeln. Auch Freddie hatte ihn in sein Herz geschlossen, sonst hätte er ihm die geheimen Spitznamen seiner Onkel nicht anvertraut.
„Meine Schwester Bel wurde Witwe, bevor sie Kinder bekam.“
„Und Ihr Bruder?“ Eva bohrte weiter und stellte verdutzt fest, dass sein soeben noch amüsierter Blick sich verdüsterte und er sich zum Fenster wandte. Sein Profil gab ihr keinen Aufschluss. Da gab es ein Geheimnis.
„Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass Charles je Kinder haben wird“, antwortete er mit sachlicher Stimme, die ihren Verdacht nur nährte. Seine Miene war jedoch so undurchdringlich, dass sie es nicht wagte, ihn weiter zu bedrängen.
Es entstand ein Schweigen, nicht gerade frostig, aber auch nicht besonders angenehm. Vielleicht war sein Bruder nicht zeugungsfähig, und Jack wollte nicht darüber sprechen. Eva wandte den Blick ebenfalls aus dem Fenster und grübelte darüber nach, was Jack ihr erzählt hatte.
Er hatte eine große Verwandtschaft. Einen Bischof als Onkel. Die allgemeine Empörung über eine sündige Base ließ auf Ansehen, ja, sogar auf niederen Adel schließen. Doch Angehörige des Adels verbrachten nicht ihre
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